Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
es draußen an Deck trocken, legte ich mich auch aufs Brückendeck, beobachtete die See, die Wolken, das Kielwasser und freute mich unterwegs zu sein. Umso schöner, wenn sich Albatrosse oder andere Meeresvögel zeigten: Ich behielt sie stundenlang fest im Blick. Erst ein Albatros als Begleiter bescherte mir in den Polarregionen die perfekte Atmosphäre.
Mittags, wenn die Sonne den höchsten Punkt erreichte, wurde die Position bestimmt. Früher mit dem Sextant, der genauen Uhrzeit, nautischen Tafeln, Bleistift und Papier. Das dauerte, und das Resultat war auch sehr von Seegang und Wolken abhängig. Inzwischen ist das Navigieren als »Kunst« passé. GPS ist das beherrschende allmächtige Gerät, das uns zu jeder Zeit die Position ausspuckt. Die Position kam in die Seekarte, die Daten kamen ins Logbuch. Das Etmal und auch Wind und Wetter sowie Segelstellung wurden in die jeweiligen Datenspalten eingetragen. Was ich nie vergaß zu notieren waren der Barometerstand und die Geschwindigkeit im Schiff. Hatte ich das Technische aufgeschrieben, kam, soweit ich Lust und Themen hatte, das Persönliche hinzu: Verfassung, Gedanken, Stimmungen. War ich auf einem guten Weg, verlieh ich meiner Euphorie Ausdruck. Stets wurde festgehalten, was es zum Mittagessen gab. Kochen dauerte meist zwei Stunden inklusive Aufklaren. War ich mit Kurs und Befinden zufrieden, legte ich mich auf die Koje und träumte, denn in den Nächten konnte ich ja nicht durchschlafen.
Eine Schilderung des Seetags wäre nicht vollständig ohne das Thema Lesen. Wer gerne liest, ist auf See gut aufgehoben. Ohnehin ist es erstaunlich, wie sehr Alleinreisende nach Büchern lechzen. Für die Nonstop-Fahrt hatte ich mich mit sogenannten Pagemonstern ausgerüstet. Dicke Bücher, die an Flughäfen und Bahnhöfen zahlreich verkauft werden. Tausend Seiten und mehr. Die Menschen mögen ganz offensichtlich solche Schwarten. Ich auch. Allein auf weiter See liebe ich solche Schmöker. Bewahre sie mir speziell für gutes Wetter auf. Kuschlig in der Koje, mit Kissen verkeilt, frei von störenden Einflüssen, kann man genial »dranbleiben«. Im »turbulenten« Landleben bringe ich umfangreiche Bücher nicht zu Ende. Da gibt es zu viel Ablenkung: Zeitung, Kino, Fernsehen, Freunde, Telefon, Besuche. An Bord verliere ich selten den Faden, bleibe bei den Figuren, beim Geschehen dran. Spannung und Stil fesseln mich so sehr, dass ich manche Bücher nie wieder vergessen habe. Wenn es spannend war, las ich sogar manchen Abend im Licht der Petroleumlampe weiter.
Und noch ein Grund, Bücher einzupacken: Man kann seine »Landschaften« mitnehmen. Genau das habe ich getan: Hans Fallada und sein Berlin, Pommern, Mecklenburg; Heinrich Böll und seine einzigartigen Bücher aus der Nachkriegszeit; das Amerika der Sylvia Plath; L.-G. Buchheim und die Kriegsmarine. Und Michael Roes Roman Rub’ al-Khali/Leeres Viertel – mein Wüstenklassiker. Mit Belletristik habe ich mich immer gut versorgt. Was die maritimen Sachbücher betrifft: Ohne Moitessier und Hiscock lege ich nie ab. Auch schätze ich Die sonderbare Reise des Donald Crowhurst . Dann gibt es ein Buch, das mich schon begleitete, bevor ich segeln konnte: Hannes Lindemann, Allein über den Ozean .
Im Gegensatz zum Wüstenwanderer Achill, der meist mit dem Rucksack unterwegs ist, kann ich alle gewünschten Bücher mitnehmen. Gewicht spielt keine große Rolle. Warum eigentlich Bücher? Weil mir der Kopf weh tut, wenn der Luftdruck auf Sturm hinweist und ich angreifbar bin. Dann hilft halt Lesen.
Abends widmete ich mich dem Logtagebuch. Da wurde ich Dinge los, die mich beschäftigten: Prognosen für die Weiterfahrt, Skizzen von der Route und jedwede Stimmungen. Zu später Stunde warf ich nochmals einen Blick ins Rigg. Alles in Ordnung? Keine Schäden sichtbar? Zum Abendbrot schmierte ich mir ein Knäckebrot, löffelte eine Schale Müsli oder begnügte mich mit einer Handvoll Dörrobst. Dazu gab es über meinen Kurzwellenempfänger Nachrichten, vielleicht auch eine halbe Stunde Musik. Es war auch die Zeit, in der ich sang. Standen Wind und See optimal zum Kurs, verholte ich mich in meinen Schlafsack. Doch alle zwei Stunden wurde ich spätestens wach – Kurskontrolle und Blick ins Wettergeschehen waren erforderlich. Einen Wecker brauchte ich nur innerhalb von Schifffahrtslinien. Grundsätzlich schläft man auf See nicht so entspannt wie zu Hause im Bett. Immer gibt es Störungen: Böen, Winddrehungen, lautes Schlagen, Gischt. Aufgrund
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