Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Nacken saß und in einer Röhrenverankerung verschraubt war. Ein Blick auf den Digital-Höhenmesser zeigte mir, dass wir uns stetig vom Erdboden entfernten: von 40 auf 80 Meter, von 100 auf 130 Meter. Je höher wir stiegen, desto mehr nahm auch der Fahrtwind zu, wurde zu einem heftigen Rauschen. Manchmal wirkten die vertikalen Luftströmungen wie kräftige Schläge, dann erzitterte unser Fluggerät und schüttelte sich für einige Augenblicke, was sich anfühlte, als wären wir in einer Postkutsche über Stock und Stein unterwegs. Das waren Momente, in denen ich durch dicke Backen pustete und an nichts zu denken versuchte, vor allem nicht an einen Absturz.
Auf Langlaufskiern und mit windgeblähtem Schleppdrachen ziehe ich bei günstigem Wind durch Algeriens Sahara.
Als sich meine Nervosität ein bisschen gelegt hatte, entschwanden auch meine bangen Gefühle. Plötzlich fühlte ich mich frei und losgelöst von allem, war gefesselt von dem Rundumblick über eine atemberaubende Landschaft. Es war, als würden wir über die Oberfläche einer fremden Anderswelt fliegen, deren mondgleiche Szenerien bis zum Horizont ausrollten. Ich sah ganz viel weites, flaches Land, sah endlose Dünenmeere oder Gesteinsfelder, eingefärbt in einem starken Gelb, Grau und Braun. Und mittendrin ein paar Zelte, ein winziges Stück Menschenwelt, eine kleine Kamelkarawane, eine Wasserstelle, eine Andeutung von Pfad oder Piste und ein paar grüne Flecken, hineingesprenkelt in eine seit der Schöpfung kaum veränderte Kulisse.
Als Passagier in einem zweisitzigen Ultraleichtflugzeug, dessen Schwingen eine Spannweite von etwa zehn Metern hatten, gab es für mich – im Gegensatz zum Piloten – nicht viel zu tun. Ich war vor allem mit dem Staunen beschäftigt und machte Fotos von der Wüste, in der Mensch und Tier nur kleine Punkte waren, fast mikroskopische Partikel, die sich in einer graugelben Unermesslichkeit verloren. Was für ein Gefühl, wenn sich unser 160 Kilo schweres Fluggerät in eine schräge Kurve legte und eine der Flügelspitzen ins Okular ragte! Dann löste ich die Kamera aus, um mein Unterwegssein im Ultraleichtflieger zu dokumentieren, während mich eine Art Rausch erfasste und Glückshormone durch meinen Körper jagten, als hätte ich Drogen genommen.
Nie hätte ich eine so sinnliche Art des Fliegens für möglich gehalten.
Um Größe und Distanzen der Sahara aus der Sicht eines Vogels zu erleben, war ich zu unterschiedlichen Zeiten mit einem Ultraleichtflugzeug in Marokko, Tunesien und Ägypten über Nordafrikas gewaltiges Trockenmeer geflogen. Ich wollte begreifen, was eigentlich nicht zu begreifen ist: die kosmische Dimension der größten Wüste der Welt. Mehr als ein Dutzend Reisen hatten mich im Laufe der Jahre in dieses gigantische Ödland geführt, wo ich Tausende von Kilometern zu Fuß oder auf dem Kamel zurückgelegt hatte und gegen Weite und Leere angelaufen war. Doch nie war es mir gelungen, die kontinentalen Ausmaße dieses Extremlandes zu erfassen. Zu groß, zu weit und zu phantastisch war Afrikas Ozean aus Sand und Stein.
Und auch aus dem Freiluftsitz eines Ultraleichtflugzeuges musste ich feststellen, dass Größe und Distanzen der Sahara nicht zu erfassen waren. Zu sehr wirkte die Grenzenlosigkeit auf meine Emotionen, und es erschien mir absurd, dass ich dort unten zwischen Sandmeeren, Staubbecken, Steinscherbenfeldern und vulkanischen Gebirgen Tausende von Kilometern zu Fuß und mit dem Kamel zurückgelegt hatte. Was in Gottes Namen machte es für einen Sinn, durch die größte Wüste der Welt zu pilgern?
Sinn?
Ach ja, die Frage, was mich treibt, ist in meinem Kopf noch immer nicht verstummt. Selbst nach vier Jahrzehnten nicht, in denen ich immer wieder unterwegs war.
Wie die Antwort darauf auch lauten mag, über eines bin ich mir ganz sicher: Beim Unterwegssein in den Wüsten der Welt finde ich die ganze Intensität des Lebens. Dabei denke ich oft an einige Worte des französischen Bergsteigers Lionel Terray (1921–1965), der zu den besten Bergsteigern seiner Zeit zählte und auf extremen Routen die Eiger-Nordwand (1650 Meter), den Makalu (8485 Meter) und den Fitz Roy (3406 Meter) bestieg: In einer Welt der Zwecke und des Nutzens muss der Mensch auch an die Eroberung des Unnützen glauben können.
Nicht zuletzt diese motivierenden Worte waren es, die mich bestärkt hatten, in der größten und vielfältigsten Wüste Afrikas mehr als ein Dutzend Mal durch die einsamsten Regionen und
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