Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
der Unterbrechungen brauchte ich acht statt sechs Stunden Ruhe. Jedem ungewöhnlichen Geräusch folgte ein Gang an Deck. Oft brauchte ich eine halbe Stunde, um die Ursache ausfindig zu machen.
Jede kleine Veränderung in den Windstärken oder im Seegang und jede minimale Bewegung des Schiffs nahmen mein Körper und Kopf sowieso wahr, egal wie müde ich war. Auch das Wasser, das an den Rumpf schlug, und der Wind im Rigg veränderten ständig die Tonlage.
Bei Sturm sah der Tag natürlich ganz anders aus. Weniger Schlaf, weniger Küche, weniger Entspannung. Ich war in Ölzeug und Gummistiefeln an Deck, um jederzeit einzugreifen – eventuell die Segel zu bändigen oder an die Pinne zu springen. Oder, ganz wichtig, mein Boot die Nacht durch von Hand zu steuern. Gelegentlich tagelang, weil die vom Wind betriebene Selbststeueranlage es bei stürmischem Wetter nicht schaffte, mein Schiff auf Kurs zu halten.
Eintragungen im Logtagebuch am Ende eines Sturms:
Die See ist ruhiger geworden. Wellt noch sehr, dass sich die Kämme brechen. Zu den großartigen Augenblicken dieser Polarreisen gehört der, wo eine alte Sturmsee sich aufbäumt und zuckt, aber doch keine Kraft mehr hat und in sich zusammenfällt. Bald wird dort, wo sich jetzt noch weiße Kämme bilden, nur noch eine Dünung gehen.
Generell dauerten da unten alle Arbeiten dreimal so lange und alles war dreimal so anstrengend. Etwa einen Riss im Segel nähen: erst abschlagen, unter Deck auslegen, sich an den Möbeln verkeilen, die Nadel durch zwei, drei oder gar mehr Lagen Tuch stecken und ziehen. Das ging nur mit einem Segelnähhandschuh und einer Flachzange. Wie gesagt, das brauchte seine Zeit, und so mancher Nadelstich ging daneben – ins Fleisch des Daumens.
Bei schwachem Wind änderte sich der Tagesrhythmus erheblich – hin zum Genuss. Ein Gefühl von Aufatmen. Vielleicht machte sich gar eine Windstille breit. Sie schenkte mir die nötige Kraft, um dem nächsten Sturm zu trotzen. Stille tat gut. Auch akustisch. Es gab Tage, wo ich ohne Segel auf dem Meer trieb und 20 Stunden durchschlief. Die Flaute nutzte ich, um zu schwimmen, an Deck zu liegen, Fische, Seevögel und Wolkenbilder zu beobachten. Manchmal stellte ich fest: Mensch, dir geht’s gut. Danke, lieber Gott, dass du neben den Stürmen auch Flauten erschaffen hast! Ja, es gab Flauten zum Verlieben.
Der Alltag unterwegs verlangte Disziplin von mir. Und oft schnelle Entscheidungen. Sollte ich Segel wechseln in stockdunkler Nacht bei Gischt und Schräge oder besser doch bis zur Morgendämmerung warten? Es brauchte eine eiserne Selbstbeherrschung, sich nachts aus dem warmen Schlafsack ins Kalte und Nasse hinauszuquälen. Bis es doch mal zu spät war und eine Spiere brach, das Boot durch den Wind schoss oder schlimmstenfalls das Segel riss. Das waren Augenblicke, die ein Mehr, ein viel Mehr an Arbeit bedeuteten. Aber Arbeit betrachte ich beim Segeln irgendwie nicht als wirkliche Anstrengung. Ich segle, also habe ich Vergnügen.
Daher: Kein Fahrtensegler sollte durch das Leben gehen, ohne sich einmal der gesunden, ja eintönigen Einsamkeit auf See auszusetzen. Einer Situation also, in der er allein auf sich angewiesen ist und so seine wahren Stärken und Schwächen kennenlernt.
Allein durch Afrikas »trockenes Meer«
Achill Moser
Einsamkeit ist die erste Stufe der goldenen Treppe, die zur Seligkeit führt … der Weg zum Ruhm geht über Paläste, der zum Glück über Basare, der Weg zur Weisheit aber führt über die Einöden.
Erhard Kästner, Zeltbuch von Tumilat
Der Wind schlug mir ins Gesicht, und ein Tränenschleier legte sich flatternd über die Augen, als das Dreirad-Fahrgestell unseres Ultraleichtflugzeuges vom Erdboden abhob und mit breiten Schwingen sanft in die Lüfte aufstieg, hinein in die Schönwetterthermik. Nur ein Bauchgurt hielt mich in meinem offenen Freiluftsitz, während der Pilot vor mir den Steuerknüppel drückte und mit den Pedalen Bugrad und Seitenruder dirigierte.
»Halt dich fest!«, hörte ich nur, dann senkten sich auch schon die Flügel unserer Flugmaschine mal nach links, mal nach rechts, wobei ich den Schatten des Ultraleichtflugzeuges tief unter mir sah, einem sonderbaren Vogel gleich, der über sandiges Gelb glitt.
Meine Hände waren schweißnass. Auch spürte ich einen leichten Schwindel, weshalb ich mich mit der Linken am Rohrgestänge festhielt. Irgendwie war mir mulmig, was ich zu ignorieren versuchte, ebenso wie den Lärm des Motors, der hinter meinem
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