Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
entlegensten Winkel zu wandern, wobei sich besonders zwei Reisen ganz tief in meinen Kopf eingebrannt haben.
Im Jahre 2008 durchquerte ich in 135 Tagen die Sahara auf einer Strecke von 5500 Kilometern. Von Westen nach Osten wanderte ich zu Fuß und mit Kamelen auf uralten Karawanenstraßen. Ein Mammuttrip, den ich über Jahre geplant hatte und der mich vom Atlantik bis zum Nil durch fünf Länder führte: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten.
Allerdings hatte mich die überwältigende Wirklichkeit der Sahara 1991 noch stärker beeindruckt. Damals beeinflusste die Wüstenwildnis mehr mein Gefühl als meinen Verstand. Und mehr als sonst musste ich mit meinen Ängsten fertigwerden, musste mein »Zurückschrecken« vor Einsamkeit und Alleinsein meistern. Zudem war meine Furcht vor der Leere – draußen wie innen – nie größer gewesen, als ich mich entschloss, den Versuch einer Durchquerung der Sahara von Norden nach Süden zu wagen. Ich nahm mir vor, zu Fuß und mit dem Rucksack mitten durch eine der faszinierendsten wie auch gnadenlosesten Landschaften der Welt zu wandern. Eine Wanderung von rund 1300 Kilometern, die im algerischen El Golea begann.
El Golea ist eine Oasenstadt, exotisch und faszinierend. Wie in vielen Regionen der Sahara bezog sich der Oasenname auf eine alte Festung, die hoch oben auf einer felsigen Anhöhe lag und über Jahrhunderte El Menea – »die Uneinnehmbare« – genannt wurde, ehe die Franzosen die algerische Wehrburg besetzten und die Einheimischen ihrer früheren Zufluchtsstätte den Namen El Golea gaben, was so viel wie »die Geraubte« bedeutet.
Über einen Schotterpfad stieg ich zu den Überresten der ehemaligen Festung auf und entdeckte am Wegesrand viele Fossilien: Muscheln, Schnecken, Panzer, Schalen und Skelette von Meerestieren, Beweise dafür, dass sich hier vor Jahrmillionen ein mächtiger Ozean erstreckte. Mehr noch: Bis zu achtmal waren große Gebiete der Sahara vom Meer überflutet und bis zu 60 Millionen Jahre standen die Fluten in riesigen Becken, ehe das Wasser ablief und maritime Sedimente zurückblieben, in denen man noch heute Überreste der einstigen Meeresfauna findet.
Oben auf dem Festungshügel, wo die Zenata-Berber bereits im 9. und 10. Jahrhundert ihre Wehrburg aus Stein und Lehm errichtet hatten, um sich vor den Überfällen des kriegerischen Wüstenstammes der Cha’ambas zu schützen, bot sich mir ein weiter Ausblick. Ich sah ein Mosaik aus Lehm- und Steinhäusern, hohe Minarette und kleine Gässchen. Gleich daneben ein wogendes Meer aus sattem Grün. Rund um die Oasenstadt wuchsen mehr als 200 000 Dattelpalmen, denen Sonne und Trockenheit kaum etwas auszumachen schien, weil ihre Wurzeln bis in tiefste Tiefen reichten, wo unterirdische Quellen die Wasserversorgung sicherten.
Am Nachmittag schlenderte ich über den Markt von El Golea, wo sich neben vielem Alltagskram auch Aprikosen, Apfelsinen, Feigen und Zitronen türmten. Durch grüne Gärten wanderte ich in den Stadtteil Bel Bachir, wo die »Wüstenkathedrale« Saint Joseph steht. Eine aus Stein gebaute Kirche, wuchtig und massiv, mit zwei Glockentürmen, die jede Palme überragen. Gleich daneben ein kleiner Friedhof, wo Staubfahnen über den Boden tanzten und ich das Grab des Franzosen Charles de Foucauld (1858–1916) suchte – und auch fand. Zu seiner Zeit ein besonderer Mensch mit vielen Facetten: Er war Kavallerist und Offizier der französischen Armee, Provokateur, Playboy, Atheist, Abenteurer, Forschungsreisender, Verkleidungskünstler, Kartograph, Geheimagent, Priester, Einsiedler, Gottsucher, Asket, Tuareg-Freund und Wüstenheiliger. Wegen ihm war ich nach Algerien gekommen, um auf einer Strecke von 1300 Kilometern von Norden nach Süden durch die größte Wüste der Erde zu wandern. So hatte es auch Charles de Foucauld zu Beginn des 20. Jahrhunderts getan, als er zu Fuß und per Kamel als erster Europäer in das algerische Hoggar-Gebirge reiste. Hier, im heißen Herzen der Südsahara, erhebt sich der 2726 Meter hohe Asskrem-Berg, der bei den Tuareg als »Ende der Welt« gilt.
Nur wenig weiß man heute noch von Charles de Foucauld, dessen ungewöhnliche Lebensgeschichte mich seit Jahren faszinierte, ehe ich mir vornahm, auf seinen sinnfälligen Spuren zu reisen. Vom Grabmal de Foucaulds wollte ich zu Fuß eine verbindende Linie mit Eigenerfahrungen ziehen und bis zum Hoggar-Gebirge wandern, und dann noch weiter zur Oase Tamanrasset, wo de Foucauld mehr als
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