Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
erschoss.
Anderntags, nach dem Abzug der libyschen Marodeure, schnitten Tuareg de Foucauld das Herz aus der Brust und begruben es im Wüstensand der Oase, wo auch sein Leichnam zur letzten Ruhe gebettet wurde. Kein Akt der Grausamkeit, sondern der Liebe.
Erst Jahre später (1929) wurden die sterblichen Überreste von Charles de Foucauld nach Bel Bachir überführt und bei der Oase El Golea, neben der katholischen Kirche Saint Joseph, bestattet, wenngleich de Foucauld seinen Letzten Willen ganz anders formuliert hatte: Ich möchte dort begraben sein, wo ich sterben werde, … ohne Sarg. Ein einfaches Grab ohne Stein, mit einem Holzkreuz darauf … Ich verbiete, meine Leiche abzutransportieren.
Hier, am Grab von Charles de Foucauld, sann ich nochmals der Lebensgeschichte dieses außergewöhnlichen Franzosen nach, ehe ich zum Hotel zurückspazierte. Dort ging ich abermals meine sorgfältig ausgewählte Ausrüstung durch, die ich im Rucksack mit in die Wüste nehmen wollte: Sturmzelt, Schlafsack, Isoliermatte, warme Kleidung, Kompass, Fotoausrüstung. Und natürlich Verpflegung: vitaminreiche Fleisch- und Gemüseextrakte, Energieriegel, einige Stücke Räucherschinken, Trockenobst, Streichkäse, Traubenzucker und Fladenbrot. Vor allem aber mehrere Liter Wasser.
Zudem hatte ich von Karawanenführern erfahren, wo ich auf meinem Weg durch die Wüste unterirdische Quellen und Brunnen finden würde, an denen ich mich mit Trinkwasser versorgen konnte.
Dann entfaltete ich auf einem kleinen Holztisch meine Landkarte und vertiefte mich in meine Route. Auf dem bunten Kartenblatt sah man große leere Flächen, manchmal eine Piste, kleine Punkte, die auf Oasen und Orte hinwiesen, Höhenangaben sowie Längen- und Breitengrade. Nur von der Wirklichkeit erzählte mir die Karte nichts. Nichts von Hitze und Staub, nichts von Sandstürmen und Giftvipern, nichts von Durst und Anstrengung. All das lag jenseits meiner Karte und würde ab morgen zu meinem normalen Tagesablauf gehören.
Endlich unterwegs. Einfach nur gehen. Ich konzentrierte mich auf die Atmung, die nächsten Schritte und suchte nach dem Gleichgewicht des Laufens. Schon früh am Morgen war es warm, so um die 20 Grad, während ich durch flaches Gelände lief. Der Boden war hartgebacken, eine Mischung aus farbigen Kieseln, feinem Sand und vielgestaltigen Felsblöcken. Nur hier und da etwas Buschwerk.
Einfach nur gehen. Leere und Licht absorbierten mich, während die enorme Weite spürbar wurde und ich tief im Innern ein altvertrautes Kribbeln spürte, dass durch aufgeregte Erwartung geprägt war. Ein wunderbares Gefühl, wenn die Welt um mich herum mehr und mehr Wüstencharakter annahm und ich wie »elektrisch aufgezogen« durch eine Landschaft lief, die so herrlich anders war. Das waren Augenblicke, in denen ich es genoss, dass mein Wille die Antriebskraft für meinen Körper war, der sich zuverlässig bewegte, während der Rucksack ganz bequem auf den Schultern lag, abgestützt von einem breiten Hüftgürtel. Seit Jahren ist der Rucksack mein Freund, mit dem ich oft spreche. Ich liebe ihn, steckt in ihm doch all das, was ich zum Leben und Überleben brauche.
Einfach nur gehen. Tag für Tag. Über schroffe Steinfelder, ausgedörrte Erdschollen und staubige Wadis. Ich wanderte 20 bis 40 Kilometer zwischen dem frühen Morgen und der Abenddämmerung. Von Wasserstelle zu Wasserstelle, von Oase zu Oase. Ohne Handy, ohne Funkgerät, ohne Lebensmitteldepots. Als Schutz vor Sonne, Wind und Sand hatte ich mir einen roten Chech, ein meterlanges Musselintuch, um Kopf, Hals und Mund gewickelt. Bis auf einen kleinen Augenspalt war der ganze Kopf verhüllt. Ich sah aus wie eine Mumie.
Einfach nur gehen. Manchmal auch nachts, wenn die Temperatur von plus 25 auf 15 Grad sank und mir Mond und Sterne den Weg beleuchteten. Soweit die landschaftlichen Gegebenheiten es zuließen, orientierte ich mich dann am Gesprenkel des Nachthimmels und vertraute meinem geschulten Sensor.
Einfach nur gehen, nach Hassi Marroket, wo das sprudelnde Wasser eines artesischen Brunnens Felder und kleine Gärten in die Ödnis gezaubert hatte.
Einfach nur gehen auf einer holperigen Piste nach Südosten, durch die Ausläufer und das Randgebiet des Grand Erg Oriental. Eine Bilderbuchwüste mit modellierten Dünenmeeren. Windvariationen in Vollendung. Ein Gebiet, so groß und weit, dass man Österreich und die Schweiz leicht darin unterbringen könnte.
Einfach nur gehen. Durch leeres und lebloses Land, wo
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