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Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Titel: Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achill Moser , Wilfried Erdmann
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Bleistiftkreuz zu Bleistiftkreuz. Dass gab mir ein gutes Gefühl.
    Kurz vor der Oase Amguid rebellierte mein Magen. Durchfall und Erbrechen. Meine Reflexe und Reaktionen verlangsamten sich. Ich ging trotzdem weiter, biss die Zähne zusammen. Doch jeder Kilometer erschien mir unendlich lang. Ein harter Tag mit zähen Stunden. Mühsam quälte ich mich weiter, bis ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    Am Nachmittag lag ich im Schatten einer Akazie. Nach 50 Tagen in der Wüste war ich völlig groggy. Mir pochte das Blut in den Schläfen, und mein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Ich schluckte Pillen, um meinen Magen zu beruhigen, legte mir ein feuchtes Tuch auf die Stirn. Doch die halluzinatorischen Bilder wollten nicht weichen. Was war bloß los mit mir? War es die Sonne, die mir so zusetzte? Oder war mein Körper einfach überfordert? Unmöglich. Es musste etwas anderes sein. Da fiel mir ein, dass am Vormittag ein älterer Araber mit seiner kleinen Herde meinen Weg gekreuzt hatte und mir Ziegenmilch zu trinken gab. Vielleicht war die Milch nicht ganz koscher gewesen? Was soll’s. All diese Fragen konnten mir jetzt nicht helfen, denn meine Hinfälligkeit flößte mir Angst ein. Angst, die ich bislang hatte ausblenden können. Angst, dass mein Körper nicht wieder auf die Beine kam. Angst, in dieser großen Leere verlorenzugehen. Angst, die mich unvermittelt anfiel wie ein wild gewordenes Tier. Das waren Augenblicke, in denen ich keine Vorstellung hatte, wie es mit mir weitergehen sollte.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dalag, ehe ich das Geräusch eines Motors hörte. Es war ein Targi im klapprigen Geländewagen, der mich fand und mit in sein Lager nahm, wo ich in einem Kamelhaarzelt auf einer Palmmatte in tiefen Schlaf fiel. Wenn ich kurz wach wurde, bekam ich reichlich Tee und einen übelriechenden Brei eingeflößt.
    Erst 40 Stunden später wurde ich richtig wach. Mohammed, der mich in der Wüste gefunden hatte, hockte neben mir, als ich die Augen aufschlug. Mit gekreuzten Beinen, die Unterarme auf seine Schenkel gestützt, saß er einfach nur da, hatte seinen kunstvoll gewickelten Tagelmust (Gesichtsschleier) heruntergenommen und lächelte. Im Hintergrund des großen Zeltes tuschelten drei kleine Mädchen, während ein etwa vierzehnjähriger Junge an den Knöpfen eines verstaubten Radios drehte, aus dem schrille arabische Gesänge erklangen. Mohammeds Frau hockte neben einer kleinen Feuerstelle. Eine aristokratische Erscheinung mit schwarzen geflochtenen Zöpfen und einem dunkelblauen Gewand, die in ihrem Schoß ein Baby wiegte. Ich war mitten im Reich der Tuareg.
    Als ich mich von meinem Schlafplatz erhob, war ich noch wackelig auf den Beinen. Mohammed führte mich nach draußen, wo wir uns in den Schatten einer großen Tamariske setzten und aus meinem Mund ein dankbares »Al-Hamdulilah« kam – »Dank sei Gott«. Dann kamen seine Frau und die Kinder dazu, ließen sich in ihrer eigentümlichen Hockestellung nieder. Und während wir auf Arabisch, Französisch, Englisch und Tamaschek radebrechten, dachte ich: Was für offene, lachende Gesichter, die trotz eines entbehrungsreichen Lebens auf eine wundersame Weise eine Zufriedenheit ausstrahlen, die von innen kommt.
    Nach drei Tagen im Lager der Tuareg fühlte ich mich schon viel besser – und wollte weiter. Mohammed begleitete mich noch zu Fuß ein Stück des Weges. Dann nahmen wir Abschied, wobei die Höflichkeitsfloskeln ein feststehendes Ritual waren: die Fragen, die Antworten und die Segenswünsche.
    Kurz darauf war ich wieder allein unterwegs. Mit neuer Zuversicht tauchte ich ein in jenes Land, das die Araber auch Khala nennen, was Ödland, Leere oder auch Ausgeliefertsein bedeutet.
    Entlang wuchtiger Hügelketten folgte ich dem Igharghar-Trockenbett, passierte das 1359 Meter hohe Edjeleh-Massiv und die Dünen des Ergs Telachchimt. Immer wieder sah ich vertrocknete Sträucher, die fast versteinert waren, entdeckte zart geformte, von Äonen des Windes zurechtgeschliffene Sandrosen, deren Kristalle in der Sonne funkelten, und stieß auf mumifizierte Kadaver von Ziegen, Schafen und Dromedaren, deren Knochen von der Sonne schneeweiß gebleicht waren. Manchmal hockten kleine Vögel auf den Skeletten, deren Gefiederfarbe kaum von der Landschaft zu unterscheiden war. Zudem sah ich schwarze Wüstenraben, die sich mit kreischenden Lauten protestierend in die Luft erhoben, wenn ich näher kam.
    Am 58. Tag erreichte ich das

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