Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Tefedest-Gebirge. Windgeschliffene Ritterburgen aus Granit wechselten mit wilden Schluchten und monströsen Bergriesen, deren Namen der Magie der Landschaft entsprachen: Igeulmamene, Timehedjene, Timenouara, Tagouna, Acoulmou. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der deutsche Wissenschaftler Konrad Kilian dieses Massiv entdeckt, das den nordwestlichen Ausläufern des Hoggar-Gebirges vorgelagert ist. Die Tuareg fürchten vor allem den sagenumwobenen Garet el Djenoun (2330 Meter), den einzigen heiligen Geisterberg der Sahara, der sich im Norden des Tefedest befindet. Besonders nachts sollen sich hier böse Geister und Dämonen herumtreiben, die Krankheit und Leid bringen.
Darüber hinaus gilt das fast unbesiedelte Tefedest-Gebirge als navigatorischer Albtraum. Ein labyrinthisches Felsgewirr mit schroffen Hügelketten, zerfurchten Canyons und atemberaubenden Steinzeitszenerien. Ein kaum erschlossenes Gebiet mit nahezu unüberwindbaren Hindernissen, das ich entlang der östlichen Abbrüche umging.
Anderntags war ich Gast zweier Tuaregfamilien, die ihre Ehans, niedrige Nomadenzelte, im Schatten einer großen Felswand aufgebaut hatten. Bei stark gesüßtem Tee und einem Teller mit Datteln erfuhr ich einmal mehr, dass Gastfreundschaft das erste Gebot in der Wüste ist. Währenddessen spielten ein paar dunkelhäutige Mädchen und Jungen mit getrockneten Dromedarkötteln Murmeln. Die Haare der Mädchen waren zu kleinen dünnen Zöpfen geflochten, während die Jungen das Haar kurzgeschoren trugen – bis auf einen buschigen langen Schopf am Hinterkopf, an dem Allah die Kinder ins Paradies hinaufziehen kann, sollten sie das Mannesalter nicht erreichen. Als ich fragte, wie alt ihre Kinder seien, schüttelten die Frauen flüchtig verneinend die Köpfe, und die Männer erklärten, dass man das Alter der Töchter und Söhne nicht genau wisse. Denn Tuareg zählen nicht, weder die Anzahl ihrer Tiere noch die Jahre ihres Lebens. Jedes Zählen bringt Unglück.
Am späten Nachmittag hatte ich das Glück, einem unblutigen Schaukampf zwischen Vater und Sohn zu erleben, die mit ihren Takubas (Schwertern) effektvoll aufeinander eindroschen. Ohne Unterlass klirrten die Tuareg-Schwerter gegeneinander, wobei Vater und Sohn Schlag auf Schlag parierten und das Keuchen der Männer zuweilen das metallische Scheppern der Waffen übertönte. Jeder versuchte mit wachsamen Augen die zielbewusste Taktik des anderen zu erraten. Und wenn der Vater sein Schwert wie ein Beil über den Kopf zog, ehe die Klinge singend durch die Luft schnitt, sprang der Sohn geschickt zur Seite.
Dann ein tiefes Luftholen des Vaters, ein markerschütternder Schrei und eine blitzschnelle Drehung um die eigene Achse. Es folgte ein beidhändig geführter Schlag, dem der Jüngere nicht standhalten konnte. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geschleudert, wirbelte durch die Luft und bohrte sich zitternd in den Wüstensand. Frauen und Kinder stimmten Freudentriller an, klatschten und blickten bewundernd auf die beiden Schaukämpfer. Fast fühlte ich mich in jene Zeit zurückversetzt, als die Tuareg noch als »Ritter der Wüste« galten, die das Universum der Sahara jahrhundertelang beherrschten.
Jenseits der Gueltas (Wasserbecken) von Issakkarasene traf ich in einem bewachsenen Trockenbett, das mit hohen Felsblöcken übersät war, auf vier Männer mit dunklen Gesichtsschleiern, die in blaue Baumwollgewänder und olivenfarbene Armeehosen gekleidet waren. Sie beäugten mich mit argwöhnischen Blicken, und ich spürte im Magen ein mulmiges Gefühl.
Einer der Männer saß auf der hinteren Stoßstange eines Geländewagens mit holländischem Kennzeichen – vermutlich gestohlen. Seine blutverschmierte Linke presste er auf den rechten Oberschenkel, während er mich mit der rechten Hand heranwinkte. Beim Näherkommen sah ich durch die offenstehende Hintertür des Wagens. Auf der Rückbank lagen drei Kalaschnikows, russische Schnellfeuergewehre. Vermutlich hatten sie noch andere Waffen, die ich nicht sehen konnte. Jetzt war mir klar, wen ich da vor mir hatte: Tuareg-Rebellen oder Wegelagerer.
Was sollte ich tun?
Da zog auch schon einer der vermummten Gestalten seine Pistole aus dem Gürtel und forderte mich auf, dem Verletzten zu helfen. Widerwillig kramte ich meine Notapotheke aus dem Rucksack und schaute mir die Wunde an. Eine Schussverletzung – nur eine Fleischwunde, doch unter den gegebenen hygienischen Verhältnissen schlimm genug.
Ich desinfizierte und verband die
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