Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
durch die Einsamkeit folgten, ihren fernen Zielen entgegen. Menschen der Weite und der Wüste, die mir, ohne haltzumachen, kurz zuwinkten, ehe sie sich in der großen Leere verloren.
Tage später, weiter im Süden, waren es meist Tuareg, die mir begegneten. Imposante Gestalten, die auf ihren Reittieren einen prachtvollen Anblick boten. Sie saßen auf Reitsätteln mit hoher Rückenlehne. Manch einer trug ein Schlagschwert in roter Lederscheide um die Schultern. Meist waren die Männer in blaues Tuch gehüllt. Auch ihre hoch aufgetürmten Turbane waren in sattes Indigo gefärbt, die nur einen Schlitz für die verschatteten Augen frei ließen. Augen, deren Blicke mich immer wieder in Bann zogen, während ihre kargen Gesten von der Freiheit der Wüste kündeten, die die Tuareg schon seit langem weitgehend verloren haben. Denn soziale, kulturelle und wirtschaftliche Umbrüche, Dürrekatastrophen, Kriege, Flüchtlingsprobleme und politische Querelen der Maghrebstaaten untereinander haben einen grenzüberschreitenden Karawanenhandel nahezu zum Erliegen gebracht und in den vergangenen Jahrzehnten zu tiefgreifenden Veränderungen im Leben der Tuareg geführt. Besonders durch Integrationsgesetze und Entwicklungsprogramme hat man die Wüstennomaden ihrer Mobilität und ihres Lebensraumes beraubt. Traditionelle Gemeinschaften und Hierarchien zerbröckelten. Was den Tuareg blieb, war oftmals nur die Flucht vor politischer Gleichmacherei, vor Unfreiheit und menschenunwürdigen Lebensverhältnissen.
Schließlich kam, was einmal kommen musste: Haushohe Sandfahnen verdichteten sich zu einem gelbbraunen Vorhang, der aus großer Ferne näher rückte. Ein diffuses Licht ebnete alles ein, und die Erde hob ab. In aller Eile baute ich mein Biwak in einer Bodenmulde auf, denn ich wusste, was mich erwartete: Ein Sandsturm zog auf. Mit orchestralem Geheul brauste er heran, bedrohlich und angsteinflößend. Gerade noch rechtzeitig zwängte ich mich ins Zelt, da brach auch schon die Hölle los. Millionen und Abermillionen von Sandkörnern prasselten wie trockener Regen auf das knatternde Technotextil. Gelbe Gischt schlug über dem Zelt zusammen, und ich fühlte mich eingeschlossen in einem Treibsandkokon. Um mich herum ein unglaubliches Toben, das die ganze Nacht anhielt. Der Sturm fraß Stunde um Stunde, und ich tat kein Auge zu, dämmerte durch die »Sturmgleiche« ohne Empfindung für Zeit und Raum.
Erst gegen Morgen herrschte plötzlich Stille. Wie betäubt wühlte ich mich durch Sand und Zelttuch ins Freie. Der Sturm war vorüber, der Himmel aschfahl. Nicht ein Sonnenstrahl ließ sich blicken.
Einheitsgraugelb.
Atemloses Schweigen.
Irgendwo kullerten ein paar Steine.
Ich hörte das Gezwitscher eines Vogels.
Wirklich ein Vogel?
Dann Hassi Bel Guebbour. Nicht mehr als eine Barackensiedlung mit Läden, Restaurant und Tankstelle. Für mich aber war es das Paradies. Nach einem Sechzehn-Stunden-Tag saß mir die Sandtristesse in den müden Knochen, sodass ich mir nach mehr als 500 Kilometern Fußmarsch zwei Tage Ruhe gönnte.
Dann lief ich weiter über das Tinrhert-Plateau bis zur Oase Bordj Omar Driss. Ein Ort, der früher Fort Flatters genannt wurde, nach einer Festung der Franzosen, die heute zwei Kilometer außerhalb der Oase liegt. Hier wimmelte es nur so von algerischen Soldaten. Und nicht nur das: Schon weit vor Omar Driss hatte ich zwei Militärstreifen bemerkt, die jedes vorbeikommende Fahrzeug peinlich genau kontrollierten. Um nicht selbst Gegenstand willkürlicher Visitation zu werden, machte ich einen Bogen um die Patrouillen und ging auch in Omar Driss allen Soldaten aus dem Weg.
Nur eine Nacht verbrachte ich in der Oase, um dann abermals mit neuem Proviant und frischem Wasser in die Wüste einzutauchen.
Dann weiter in Richtung Süden, durch ein wüstes Universum voller monotoner Schönheit, wo sich die karge Landschaft mit dem Licht immer neu änderte – und doch immer gleich blieb. Ich wanderte, mit den großen Wolkenschiffen, die ihre Schatten auf den Sand warfen, und mit dem sanften Wind, der über das schroffe Gelände wehte. So fügte sich Kilometer an Kilometer, während ich mit dem Kompass stetig die unterschiedlichsten Punkte im sandigen und steinigen Nichts anpeilte. Punkte, die zu meinen Etappenzielen wurden. Mal war es ein Hügel oder ein großer Felsblock, mal ein Baum oder ein Berg. All diese Orientierungsmerkmale zeichnete ich am Abend in meine Karte ein, und so entstand ein Weg, eine Route, von
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