Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Stadt völlig in Vergessenheit.
Stundenlang wanderte ich im Felsenkessel von Petra umher. Ich stand vor Tempelfassaden, bestaunte Triumphbögen und besichtigte Opferplätze, ging über Treppen, Steige und Steinhalden, lief durch Geröll und Staub, vorbei an bizarren Felswänden, in die Höhlen oder Gräber hineingeschlagen worden waren – mit Säulen, Statuen und Ornamenten geschmückt, innen feuchter Fels, der oft rauchgeschwärzt war. Als der Abend kam und die Felsen färbte, die in warmem Rot ausglühten, spürte ich, dass die Erde hier einen anderen Atem und Pulsschlag hatte. Auch die Sonne webte ein anderes Licht, während die Atmosphäre dieses Ortes mich regelrecht anrührte. Dinge, die sich nicht von der Stelle bewegen konnten, kommunizierten mit mir. Steine, Mauerreste und Statuen erzählten mir Geschichten aus längst vergangener Zeit. Es war, als würde ich von längst entschwundenen Geräuschen, Stimmen, Farben und Düften berührt, bis ich begriff, dass an diesem Ort etwas Besonderes vorhanden war. Etwas, das unsere Vorfahren als »Genius Loci« bezeichneten – als »Geist eines Ortes«.
Auch Leptis Magna war ein Ort, wo sich alle meine Sehnsüchte erfüllten. Ein Ort, der allerdings jahrzehntelang eine unsichere und gefährliche Gegend war – und somit unerreichbar. Ein unberechenbares Regime machte die Einreise nach Libyen fast unmöglich, vor allem für unbegleitete Einzelreisende. So kam ich erst 2008 nach Tripolis und fuhr in einem vorsintflutlichen Taxi 130 Kilometer an der libyschen Mittelmeerküste entlang. Zwischen der Großen und der Kleinen Syrte ging es in Richtung Osten nach Leptis Magna. Ein Name, der mir seit Jahrzehnten im Kopf herumschwirrte.
Wie ein Gluthauch umfingen mich in Leptis Magna die Hitze und der nie ruhende Wind, der tagsüber vom Meer kam und nachts aus der Wüste herüberwehte. Gelbweißer Sand traf hier auf das Blau des Meeres – und darüber ein schier grenzenloser Himmel.
Am Eingang des großen Ruinenfeldes bot man mir eine Führung an, die ich aber ablehnte. Ich wollte die Überreste von Leptis Magna allein erleben, wollte das Tempo der Besichtigung selbst bestimmen. Zudem bin ich kein großer Freund von Führungen.
Mit großem Glück erwischte ich für meinen Rundgang durch das »Rom Afrikas« einen jener Tage, an dem sich kaum ein Mensch auf dem Ausgrabungsgelände befand.
Erst vor rund 80 Jahren hatten italienische Archäologen hier begonnen, die drittgrößte Stadt des Römischen Weltreichs (nach Rom und Karthago) freizulegen. Mehr als 50 Jahre dauerten die Ausgrabungen, die eine der imposantesten Ruinenstätten der antiken Welt ans Tageslicht brachten. Über Jahrhunderte hatte der trockene Wüstensand uralte Säulen und Statuen, Torbögen und Bauwerke konserviert. Und noch immer liegen große Teile dieses bedeutenden Handelsplatzes entlang der Mittelmeerküste im Sandmeer verborgen.
Die Geschichte von Leptis Magna begann lange vor der Zeitenwende. Damals waren es die Phönizier, deren Männer zu den kühnsten Seefahrern jener Zeit zählten, die an der afrikanischen Küste geeignete Anlege- und Rastplätze für ihre Schiffe suchten. Eine dieser Stationen an der libyschen Mittelmeerküste nannten sie »Lepcis«. Der Name bezog sich auf das Wadi Lebdah, ein nach Regenfällen wasserführender Fluss, der an diesem Ort ein natürliches Hafenbecken bildete, ehe er ins Meer mündete.
Als die Phönizier ihre Handelsbeziehungen auf das Römische Reich ausdehnten, kamen immer mehr Römer nach Lepcis. Es entstanden prunkvolle Monumentalbauten, und die Stadt vergrößerte sich stetig, stieg schließlich mit 100 000 Einwohnern zu einer der reichsten Metropolen im Mittelmeerraum auf. Aus »Lepcis« wurde »Leptis«, und weil alles so gewaltig und mächtig war, fügte man noch das Wort »Magna« hinzu.
Doch damit nicht genug: Im Jahr 16 n. Chr. wurde eine 60 Kilometer lange Straße eröffnet, die von Leptis Magna ins Landesinnere führte, um den Handel mit den afrikanischen Völkern zu verstärken. Und 126 entstand unter Kaiser Hadrian eine Thermenanlage mit Badehäusern, die nach ihm benannt wurde und die noch heute als die größte und am besten erhaltene Anlage aus der Römerzeit gilt. Das Wasser dafür wurde seinerzeit aus einer Entfernung von 20 Kilometern in die Stadt geleitet.
Schließlich war es Septimius Severus, durch den die Leptitaner zu noch größerem Wohlstand gelangten. In Leptis Magna geboren, ging Severus als junger Mann nach Rom und
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