Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
machte unter Kaiser Mark Aurel eine steile Karriere. Er war Senator, Legat und Kommandeur von Syrien (in der Legio IV Scythica), übernahm das Kommando über die Legionen in Pannonia Superior (Ungarn), wurde Konsul und später römischer Kaiser (von 193 bis 211), der in seiner Geburtsstadt einen wahren Bauboom auslöste und Leptis Magna imperialen Glanz verlieh. Straßen und Wege wurden gepflastert, die Hafenanlage erweitert und das Neue Forum (mit einem Wald aus Säulen) in Auftrag gegeben. Als Höhepunkt monumentaler Baukunst begann man mit der Errichtung der Basilika (Gerichtshalle), einem der prunkvollsten Gebäude von Leptis Magna, das Septimius’ Sohn Caracalla nach dem Tod des Vaters vollendete.
Nach dem Aussterben der Severischen Dynastie ging es mit dem Römischen Reich und auch mit Leptis Magna abwärts. Im Jahr 455 wurde die Stadt von germanischen Vandalen, die in Afrika unterwegs waren, überfallen und verwüstet. Es folgten Berber aus dem Inneren Afrikas, die sich in Leptis eine Zeit lang halten konnten, ehe auch sie von den Byzantinern vertrieben wurden. Bald darauf verschwanden die prunkvollen Überreste von Leptis Magna unter dem Sandmeer der Sahara.
Heute gilt Leptis Magna als die am besten erhaltene Stadt aus der Antike. Ein Ort, der 1982 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Eine riesige Ruinenstadt voller Säulen, Marmorplatten, Standbilder, Sockel, Bögen und Mauern, eingebetet in wüste Kargheit, nach Norden hin dem Meer zugewandt.
Als ich durch die mit Steinen gepflasterten Gassen und staubigen Wege von Leptis Magna ging, entlang eines etwa vier Kilometer langen Rundgangs, huschten immer wieder Eidechsen über antike Trümmer. Jede Sehenswürdigkeit war spektakulär: der Triumphbogen des Septimius Severus, die Hadrian-Bäder, das Nymphäum (ein Heiligtum, das den Wassernymphen geweiht war), die Via Colonnata (eine lange Säulenstraße) und das Neue Forum mit einem der eindrucksvollsten Plätze der Welt, der sich über eine Fläche von etwa 100 mal 60 Meter erstreckt und mit Marmorplatten belegt ist. Die Arkaden schmückten hier unzählige Köpfe der Medusa und der Gorgonen, durch deren grausigen Anblick alle Feinde der Römer zu Stein erstarren sollten.
Weiter führte mein Rundgang zur angrenzenden Basilika, dann in nördlicher Richtung zur Küste und zum antiken Hafen, der sich in einer Art Lagune befand. Hier folgte ich einer Landzunge, die das alte Hafenbecken umschloss, an deren äußersten Spitze ich auf die Grundmauern des ehemaligen Leuchtturms stieß. Mächtige Quadersteine lagen hier in der rauschenden Brandung. Ein Stück weiter ging ich an der Küstenlinie entlang, wo der Sand der Sahara bis an das azurblaue Meer heranreichte. Der Himmel darüber strahlte, als ich die Hosenbeine hochkrempelte, die Schuhe auszog und ein paar Schritte in die heranrollenden Wellen hineinlief. Was für eine herrliche Erfrischung, als meine Füße vom Salzwasser umspült wurden!
Vom nördlichsten Punkt der Ruinenstadt drehte ich am späten Nachmittag um und nahm einen anderen Weg in Richtung Ausgang: Am Alten Forum vorbei ging es zum Marktplatz, vom Tiberius-Bogen zum Trajans-Bogen und weiter zum hohen Halbrund des Theaters, das mit Bühne, Säulen und steil ansteigenden Steinreihen alle anderen Gebäude von Leptis Magna überragte.
Der Anblick dieser altgeschichtlichen Ruinen, die mir die ganze Erhabenheit der Antike vermittelten, übte eine unwiderstehliche Faszination auf mich aus. Überall saugten sich meine Augen fest: an Ornamenten, Reliefs, Zierrat, Marmormedaillons und Statuen, die zu Hunderten hier ausgegraben wurden und – neben den Inschriften – von der wechselvollen Geschichte dieses bedeutenden Handelsplatzes erzählten.
Dieser Ort lag an der Schwelle des Absoluten, wo die Seele ausruhen konnte, umfangen von Bildern aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die mein Unterbewusstsein ansprachen. Ich war tief berührt von der Schönheit dieser so einsam in den Sandwellen der Wüste liegenden Ruinenstadt, in der die Aus- und Einblicke in ferne Zeiten eine die Sinne läuternde Wirkung auf mich ausübten. Hier schöpfte ich aus dem Augenblick, den der Körper mit allen Sinnen aufnahm, ohne an die Zeit zu denken. Denn die Zeit verrann hier mit einer Gleichgültigkeit, die von nichts und niemandem unterbrochen wurde. Hier entschwanden alle Maßstäbe von Dringlichkeit, nach denen ich mich zu Hause in Deutschland so sehr ausrichtete. Nichts war an diesem Ort so
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