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Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Titel: Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achill Moser , Wilfried Erdmann
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die Tiefe.
    Seitlich, mit dem rechten Fuß das eigene Körpergewicht abstützend, stiegen wir Schritt für Schritt abwärts, arbeiteten uns Meter für Meter an klaffenden Felsspalten vorbei, als ich weit hinter uns erneut den Lichtstrahl einer Taschenlampe sah.
    »Die geben nicht auf«, meinte Ahmed, als wir den Boden der Schlucht erreicht hatten und einen weiteren Felshang erklommen. Er führte uns zu einem steinübersäten Plateau, auf dem die Felswände mit dichtem Gestrüpp bedeckt waren.
    »Hinter einem der großen Büsche liegt der Zugang zur Höhle«, sagte Kemil mit gedämpfter Stimme. Wenig später zwängten wir uns lautlos durch das dichte Astwerk und kamen zu einem engen Schlund, der sich zwischen zwei mächtigen Felsplatten öffnete. Die Arme weit vorgestreckt, tasteten wir uns durch den schmalen Höhleneingang, der nicht viel mehr als ein Spalt war, in das feucht-kalte Innere. Kemil fingerte eine Streichholzschachtel aus seiner Jackentasche und entzündete eines der kleinen Hölzchen. Im schwachen Licht der winzigen Flamme erkannte ich, dass die Höhle recht hoch und ziemlich groß war. Als die kleine Flamme erlosch, kramte ich meine Taschenlampe aus dem Rucksack. In ihrem Lichtstrahl konnten wir uns genauer umschauen. Spalten und Risse klafften in der Höhlendecke, die eine fast gleichmäßige Wölbung aufwies. Wasser tropfte an einigen Stellen von den Seitenwänden, die mehrere Meter hoch waren. Auf der linken Seite hatte die Höhle eine Ausbuchtung, in der ein großer Stapel Brennholz aufgeschichtet lag. Rasch richtete Ahmed mit ein paar Steinen eine Feuerstelle her. Kurz darauf flackerten die ersten Flammen auf, zauberten Licht- und Schattenreflexe an die spröden Felswände.
    »Bei Sturm und Gewitter habe ich hier schon viele Tage verbracht«, meinte Kemil halblaut. Ich erfuhr, dass die Höhle gelegentlich von Nomaden, Schäfern und auch Partisanen benutzt wurde.
    Dann blickte ich mich weiter um. Nach rechts führte ein niedriger Gang, eine Art Stollen, der mit Versturzblöcken versperrt war. Weiter hinten, wo der Lichtschein meiner Taschenlampe nur noch schwach hinreichte, versperrte eine mächtige Felsplatte, die aus der Decke heruntergestürzt war, den Weg. Von dort drang das Gurgeln von Wasser an meine Ohren. Vielleicht ein unterirdischer Flusslauf. Zudem war da noch ein seltsames Geräusch, das mal ganz nahe war und sich dann wieder entfernte. Ein geisterhaftes Huschen, das im Schein des Feuers einen riesigen Schatten an die Felswände warf – und schon im nächsten Augenblick wieder aus dem Licht entschwunden war.
    »Fledermäuse!«, sagte Ahmed und deutete auf einige versteckte Höhlenwinkel. Mit einem kleinen brennenden Ast, der mir als Fackel diente, ging ich etwas tiefer in das Gewölbe hinein. Und da sah ich sie: dunkelbraune Wesen mit großen Ohren und häutigen Flügeln, die mit ihrem Daumen an der Felsdecke hingen. Nur für Sekunden konnte ich die seltsamen Flugtiere im Schein der Fackel sehen, ehe sie flatternd in der Dunkelheit untertauchten, ohne irgendwo anzustoßen. Denn sie stoßen bei ihren Flügen für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbare Frequenzlaute aus, wobei die Schallwellen von den unterschiedlichen Hindernissen zu ihren Ohren zurückprallen. Eine Art Radarpeilung, die ihnen bei der Orientierung und der Beutesuche hilft.
    Bereits im 18. Jahrhundert war es der Italiener Spallanzani, der sich intensiv mit dem Flugverhalten dieser Tiere beschäftigt hatte. In einem Raum, in dem er senkrechte Fäden spannte, ließ er einige Fledermäuse mit und ohne Augenbinden fliegen. Doch allen gelang es, sich geschickt in dem Fädenlabyrinth zu orientieren und den dünnen Hindernissen auszuweichen. So kam man dem Phänomen des geheimnisvollen Fledermausfluges auf die Spur.
    Etwas später breitete ich meinen Schlafsack neben dem Feuer aus. Hundemüde machte ich es mir bequem, während Ahmed, Kemil und Mohammed selbstgedrehte Zigaretten rauchten und mir von ihren Familien und dem Leben in ihren Dörfern erzählten. Unsere Gespräche fanden in einem Kauderwelsch aus Kurdisch und Englisch statt. Ausdrucksweise und Wahl der Worte waren eher locker und flüssig als grammatikalisch richtig.
    »Die türkische Regierung ist schuld«, sagte Ahmed, »dass es in Kurdistan keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine vernünftigen Straßen, keine Krankenhäuser und keine Schule gibt.«
    Kemil nickte und fügte hinzu: »Deshalb wehren wir uns, lassen uns nicht länger als Menschen zweiter Klasse

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