Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
nur von Glück schreiben, dass ich gut eingepackt bin – in Wolle und dicker Wetterkleidung. Diese Stürze geben mir das Gefühl, als ob ein Kran das Schiff rasch immer wieder in die Höhe hebt und dann abstürzen lässt. Wie lange werden die Fenster das aushalten? Der Mast? Der Rumpf? Gut, die Luken werden es überstehen. Sie sind aus Aluminium und mit Knebelverschlüssen verschraubt. Als akustische Kulisse habe ich einen Höllenlärm, ein orgelndes Pfeifen, Heulen und Jaulen, als ob man in einem Zug durch Tunnel um Tunnel jagt.
Ich gebe auf.
Bette meinen Kopf auf einen Seesack, falte die Hände und schließe mit dem Leben ab. Das war’s also. Okay. Ich bin mit achtzehn per Fahrrad nach Indien gefahren, bin als erster Deutscher allein um die Welt gesegelt, habe das als einziger Deutscher nonstop wiederholt, habe eine hübsche Frau geheiratet, ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt, ein Buch geschrieben. War bestrebt, nie mittelmäßige Sachen zu machen. Und habe deswegen auch diese Extremtour gewagt. Wenn sie jetzt so zu Ende geht – einverstanden.
Dann widerfährt mir etwas, das mich wieder aufmuntert. In dem ganzen Chaos, das in der Kajüte herrscht, trete ich auf eine Senftube, und der Inhalt schießt mit einem enormen »Flop« auf die Fensterscheibe. Eigentlich ärgerlich, aber ich denke an die Monsterkracher da draußen und muss lachen. »Also, wenn ihr hier reinwollt, schießen wir zurück!«
Tun kann ich nichts. Alle theoretische Sturmtaktik wird mit einem Boot dieser Größe bei solch einem Wetter zum Witz. Es bleibt nur eins: treiben. Möglichst mit dem Heck zu Wind und See – ohne dass ein Stück Segeltuch gesetzt ist. Zwei volle Tage tobt der Orkan, dann hat er sich ausgestürmt. Es wurde auch Zeit.
An Deck vollkommenes Durcheinander. Schoten und Fallen schleifen im Meer. Taue haben sich überall vertörnt, um den Mast gar einige Meter hoch. Stundenlang muss ich aufklaren – im Angesicht der sich brechenden Kämme. Meine angstschweißdurchtränkte Unterwäsche fliegt im hohen Bogen achteraus.
Es ist unglaublich, wie gut das Boot die Schinderei überstanden hat. Mein Körper dagegen weniger gut. Prellungen machen mir zu schaffen. Aber dem Boot fehlt nichts Ernsthaftes. Lediglich die Verstagung des Mastes muss ich nachspannen und neue Windflaggen, die mir die Windrichtung anzeigen, an die Wanten bändseln. Wie stark der Sturm war, zeigen sie am besten: Innerhalb von zwei Tagen haben sie allen Stoff verloren. Gewöhnlich verlieren sie in einem richtigen Sturm einen Fingerbreit an Tuch. Da kann ich wirklich sagen: Ich habe überlebt.
16. Mai – 275. Tag
Am 274. Tag runde ich das berühmte Kap der Guten Hoffnung, und der Bug zeigt wieder nach Norden. Heimwärts. Großartiges Gefühl. Mann, ist das schön, alle drei großen Kaps gegen den Wind im Kielwasser zu haben! Mit jeder Meile fühle ich mich ein Stück größer. Vergesse fast, wie viel Kraft es gekostet hat. Der Grat zwischen Scheitern und Gelingen war oft schmal. Sehr schmal. Dass letztlich alles gutgegangen ist, lag auch daran, dass ich nicht alles richtig, aber wenig falsch gemacht habe.
8200 Meilen bis zu meinem Ziel Cuxhaven liegen noch vor mir. Aber das Meer fordert mich nicht mehr. Mein Sohn, wie üblich sehr optimistisch, sagt während eines der seltenen Satellitentelefongespräche: »Die segelst du doch auf einer Pobacke ab.«
Er behält recht. 69 Tage später bin ich in der Elbmündung. Nach 343 Tagen ununterbrochen auf dem Meer werde ich wieder vom Seemann zum Erdmann. Das betrifft aber nur meinen Körper. Im Kopf bin ich mit dieser Nonstop-Fahrt noch jahrelang unterwegs.
Nachspann
Dies war ein Abriss meiner Fahrt. Er basiert überwiegend auf Auszügen meines Logtagebuchs, das ich sorgfältig führte. Mehrfach täglich. Es war mein einziger Begleiter, dem ich Dinge anvertrauen konnte, die mich beschäftigten. Sagen wir mal, mein Logbuch war meine Freundin dieser 343 Tage. Was bleibt? Es war eine Wahnsinnstour. Ich liebe sie, fand aber selten echte Gegenliebe. Nach der Weltumseglung tourte ich mit Bildern durch das Land. Doch bald verspürte ich, dass Vorträge nicht die richtige Stimmung brachten. Oft haderte ich während der Veranstaltungen mit mir: Was teile ich mit, was behalte ich besser für mich? Ich hatte außerdem das Gefühl, dass ich mich verschenke, meine große Fahrt nach und nach verliere. Die Fahrt, die mir so viel bedeutet, die mich so viel Kraft gekostet hat und die mir über viele
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