Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
sichtbar, begegnet sich Frühchristliches und Frühislamisches, Antike und Mittelalter, Kalifat und Kolonialzeit.
Das exotische Flair von Orient und Morgenland fand ich schließlich in der Damaszener Altstadt, wo der Souk, der große Basar, das Alltagsleben aufsaugt. Schwitzend irrte ich hier durch ein gigantisches Gassengewirr, mitgerissen von einem Menschenstrom, der mich von Laden zu Laden trieb, während hoch oben, zwischen den Hausdächern, Schilfmatten oder Lattengitter die engen Gehwege beschatteten. Die schmalen, winkligen Gassen, die gerade breit genug waren, ein beladenes Eselchen passieren zu lassen, bildeten ein ungeordnetes Netz mit zahllosen Geschäften und Verkaufsständen voller Düfte und Gerüche. Alle zehn Schritte wurde ich von jugendlichen Schleppern angesprochen, die wie Kletten zäh an mir hingen. Für ein bisschen Geld wollten sie mich als Pfadfinder durch das Gassenlabyrinth begleiten oder mir gar die ganze Stadt zeigen.
Tags darauf war es nicht weit nach Palmyra. Was klingt in diesem Namen nicht alles mit: Palmen, Wüstenwind, Myrrhe, Weihrauch und Säulen im Sand. Dort erinnert fast jeder Stein an jene Glanzzeit, als die antike Oasenstadt zwölf Jahre lang – zwischen 260 und 272 – alle Länder zwischen Bosporus und Nil beherrschte. Karawanen aus Arabien und Mesopotamien tränkten hier ihre Tiere, und in den imposanten Säulenhallen wurde Persisch, Aramäisch und Griechisch gesprochen, ehe die römischen Legionen des Kaisers Aurelian den Ort zerstörten. Besonders durch die Anbindung an die Seidenstraße gelangte Palmyra, die seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. unter römischer Hoheit stand, zu großem Reichtum, der sich vor allem in monumentalen Bauwerken offenbart: Da wurden Tempel und Thermen gebaut, Triumphtore, Theater und Wohnhäuser. Ein Spektakel römischer Zivilisation, mittlerweile nur noch ruinenhaft, doch nach wie vor ein grandioses Freilichtmuseum.
Zudem entwickelte sich an diesem geschichtsträchtigen Ort eine ungewöhnliche Kultur, die griechisch-römische und orientalische Elemente miteinander vereinte, ehe Palmyra an Bedeutung verlor und in die Hände der Moslems überging, die bereits unweit der antiken Stadt eine Bergfestung namens Tadmor angelegt hatten. Ein Name mit altsemitischem Ursprung, der so viel wie »Wachposten« bedeutet.
Erst 1678 entdeckten britische Kaufleute die antiken Tempelruinen von Neuem, die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen und für viele Bildungsreisende des Abendlandes zum klassischen Reiseziel wurden.
Auch die alten Karawanenwege, die ehemals von Palmyra nach Bagdad, Babylon und Kurdistan führten, gibt es noch immer. Allerdings werden die verzweigten Wüstenstraßen heute von donnernden Lastwagen benutzt. Doch jenseits aller Wellblechpisten und Asphaltbänder erstreckt sich seit jeher eine große Stille: die Syrische Wüste, zu der zwei Drittel der Landesfläche zählen. Dort war ich mit einem Beduinen unterwegs, der einen grauen Umhang trug und dessen Kopf in ein landestypisches kariertes Tuch gehüllt war. Mustafas Gesicht mit den großen braunen Augen, der gebogenen Nase und dem Stoppelbart am Kinn war fast immer heiter. Seine Bewegungen wirkten locker und geschmeidig, als wir Schritt für Schritt in die Wüste zogen.
Fortan bewegten wir uns zu Fuß oder im ruhigen, schaukelnden Gang der Kamele, die mit Proviant und reichlich Trinkwasser beladen waren. So zogen wir von Tag zu Tag durch eine Landschaft, deren Großzügigkeit keine Grenzen kannte. Manchmal liefen oder ritten wir stundenlang nebeneinander durch sandiges, steiniges Terrain, ohne dabei viele Worte zu wechseln. Es war herrlich für mich, wenn sich die horizontweiten Ebenen aus Sand und Stein vor uns ausrollten. Nicht umsonst heißt es in einem arabischen Sprichwort: Der Weg zur Macht führt durch Paläste, der zum Reichtum durch Basare, aber der Weg zur Weisheit durch die Wüste.
Die Tage zwischen Himmel und Weite hatten ein ruhiges Gleichmaß. Einmal mehr bekam ich in der Wüste eine andere Einstellung zur Zeit, lebte nur noch in der Gegenwart, während es durch ausgedörrte Flusstäler ging, in denen sich alle Schattierungen von Gelb bis Ocker fanden. Mittags machten wir im Schatten eines Baumes eine längere Pause und hofften auf etwas Wind, der die drückende Luft vertrieb. Dann liefen wir weiter – über geriffelte Sandfelder, erodierte Abraumhalden, kiesbedeckte Flächen, sägeartige Höhenzüge und staubiges, steppenartiges Gelände, wo Stechfliegen,
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