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Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Titel: Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achill Moser , Wilfried Erdmann
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behandeln. Wir wollen keine Zwangsumsiedlung, keine Flüchtlingslager und keine Verschmelzung mit den Türken. Was wir wollen, ist eine selbstregierte Heimat – mit eigener Sprache und unseren Traditionen. Deshalb schließen sich auch immer mehr Kurden den Peshmerga-Kriegern (wörtlich: Kämpfer, die dem Tod ins Auge sehen) an und kämpfen gegen die Armeen im Iran, Irak und der Türkei.«
    Nachdenklich stellte ich eine Frage, die mir schon seit Wochen auf der Seele lag: »Türkische Zeitungen haben berichtet, dass es viele kurdische Anschläge gab, bei denen auch Frauen und Kinder getötet wurden. Wer ist dafür verantwortlich?«
    »Das sind Terroraktionen radikaler Untergrundgruppen, die aus Syrien und dem Irak kommen. Fanatiker sind das, die nur töten wollen. Ein freies Kurdistan ist denen egal. Nichts haben wir mit denen zu tun.« Kemils Worte hallten noch in mir nach, als ich an Karl Mays Roman Durchs wilde Kurdistan denken musste. Der sächsische Schriftsteller hatte das Schicksal der Kurden mit Worten beschrieben, die immer noch aktuell wirkten: Aus den Tälern Kurdistans ist der Qualm brennender Dörfer und der Geruch von Strömen vergossenen Blutes zum Himmel gestiegen. Wir befinden uns in einem Lande, in dem Leben, Freiheit und Eigentum mehr gefährdet sind als anderswo …
    Am nächsten Morgen zog milchiger Dunst aus den Tälern herauf und kroch über Hügel und Bergketten. Der kalte Wind, der am Vortag fast unentwegt von Osten geweht hatte, war eingeschlafen. Draußen vor der Höhle war alles still. Nirgendwo ein Laut oder eine Bewegung. Nirgendwo konnten wir eine Militärpatrouille entdecken. Also packten wir unsere Sachen zusammen, ehe ich noch mal auf die Landkarte schaute und sich mein Blick in einem Namenslabyrinth unzähliger Berge, Schluchten und Flüsse verlor. Dann zwängten wir uns durch das dichte Strauchwerk, das den Höhleneingang vollständig verbarg. Jedes Geräusch vermeidend, machten wir uns wieder auf den Weg.
    Nur ein paar Kilometer gingen wir noch zusammen, ehe ich von meinen kurdischen Gefährten Abschied nahm. Sie drückten mich an ihre Brust und wünschten mir alles Gute. Kurz darauf verschwanden sie hinter einem hohen Felsgrat.
    Ich war wieder allein, inmitten einer wilden Licht- und Schattenwelt.
    Ich befand mich in Kurdistan, einem Land, das in keinem Atlas verzeichnet ist. Ein Rebellenland, das im Schnittpunkt von fünf Staaten liegt: Türkei, Russland, Iran, Irak und Syrien. Seit undenklichen Zeiten kämpfen hier viele Kurden um ihre nationalen Rechte. Es ist das ohnmächtige Aufbäumen eines unterdrückten 20-Millionen-Volkes, das einen eigenen Staat beansprucht. Doch wo liegt dieses Kurdistan eigentlich?
    Kurden erzählten mir, dass sich ihr Reich zwischen dem biblischen Berg Ararat im Norden, dem iranischen Hochland im Osten, den Ufern des Tigris im Irak und den zentraltürkischen Ebenen des großen Stroms Euphrat erstreckt. Eine schwer zugängliche Felswüste mit etwa 500 000 Quadratkilometern. Ein Steinland so wild und abweisend wie das algerische Hoggar- oder Tassili-Gebirge im Süden der Sahara – mit wuchtigen Felsmassiven, Geröll und Sand, mit Wadis, Schluchten und Tälern und einem extremen Klima, das nur wenig Vegetation zulässt.
    An dieses karge Land klammert sich das Volk der Kurden seit Generationen und trotzt den übermächtigen Armeen diesseits und jenseits der Grenzen. Es ist das größte Volk der Erde ohne eigenen Staat, das die Geschichte in einen tragischen Konflikt grenzüberschreitender Unruhen trieb – wovon die Weltöffentlichkeit kaum Notiz nahm. Selbst als 1988 der Diktator Saddam Hussein Giftgas-Granaten gegen das kurdische Volk im Irak einsetzte, wobei Tausende von Menschen starben, hielt die Welt zwar schockiert den Atem an, tat aber nichts. Bis heute hat die Weltöffentlichkeit wenig unternommen, um das Leid der Kurden zu beenden. Und wenn man bedenkt, dass allein im Irak fast zwei Drittel des gesamten Erdöls aus kurdischem Erdboden gefördert werden, scheint es zumindest so, als würde das Schweigen der Öffentlichkeit das Interesse der Großmächte widerspiegeln. Somit ist der Autonomiestatus, den die irakischen Kurden mittlerweile erreichen konnten, nicht mehr als ein Teilerfolg auf einem langen Weg zu einem eigenen Staat.
    Seit meiner Jugend, als ich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke Karl Mays Durchs wilde Kurdistan las, beflügelt diese Region meine Phantasie. May hat darin die Auseinandersetzung der Kurden mit ihrer Umwelt

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