Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Skorpione und Sandvipern zu Hause sind. Ein Land der Durchgangswege von Hochkulturen, ein Land von Völkerbewegungen und Kriegszügen, dessen Weiten bei schwindendem Licht von einer unendlichen Melancholie erfasst werden. Landschaften wie geträumt, in denen der Wind säuselt, Lehm bröselt, Sandkörner fliegen, einzelne Palmen sich im Wind wiegen und nach Sonnenuntergang Myriaden von Sternen am tiefdunklen Nachthimmel erscheinen.
Hin und wieder trafen wir auf kleine Beduinenlager. Oft besaßen die Familien nur das Notwendigste. Die Gesichter und Körper waren kantig und hager, hatten sich der herben Landschaft angeglichen, während die leuchtend bunten Kleider der Frauen in krassem Gegensatz zu den monotonen Farben der Wüste standen. Ihr Leben hatte sich auf das Wesentliche reduziert: Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und das Alltägliche, das getan werden musste.
Meist verbrachten wir eine Nacht in der Obhut der Wüstenbewohner, bekamen zum Abendessen ein Gericht aus Kartoffeln, Reis, Tomaten und Zwiebeln, schliefen in schwarzen Wollzelten und verzehrten morgens zum Frühstück frisch gebackenes Fladenbrot, etwas Ziegenkäse und Marmelade, ehe wir nach Nordosten weiterzogen – zum Euphrat, mit 2736 Kilometern der längste Strom Vorderasiens.
Vom Euphrat führte mich mein Weg in nordöstlicher Richtung nach Kurdistan, wo sich Wüste und Berge die Hand reichten und schon vor Jahrmillionen die Kräfte des Erdinneren eine großartige Landschaft gestalteten. Noch heute sind Erdbeben in dieser Region keine Seltenheit, sie zeigen, dass das unterirdische gashaltige Meer längst nicht zur Ruhe gekommen ist.
Kurdistan ist eine geheimnisumwitterte Felswüste mit menschenabweisendem Charakter. Dennoch besitzt dieser Landstrich eine ganz eigene Schönheit. Ein Reich der Steine, geprägt von erstaunlicher Formenvielfalt, wo ausgetrocknete Flussbetten, die an Tentakeln von Riesenkraken erinnern, das Land durchschneiden; wo windgeschliffene Bergmassive mitten in der Bewegung erstarrt sind; wo schmale tückische Bergpfade in entlegenste Winkel führen – und wo ich nach Einbruch der Dunkelheit oft dem Heulen der Wölfe lauschte, die mich eines Nachts belauerten: Grün schimmernde Augen huschten durch das mondhelle Dämmerlicht, kreisten um meinen Lagerplatz. Mir war klar, dass ich die Tiere verscheuchen musste, und ich erinnerte mich daran, wie ich vor einigen Jahren bei den Berbern im marokkanischen Atlasgebirge saß und eine Handvoll Wölfe um uns herumschlich. Damals steckten die Männer ihre Finger in den Mund und pfiffen so laut, dass ich glaubte, mir würde das Trommelfell platzen. Gleichwohl verfehlten die schrillen Töne der Berber nicht ihre Wirkung: Binnen weniger Minuten waren die Wölfe verschwunden.
Fast ebenso machte ich es jetzt auch: Mit einem langen Stock bewaffnet, lief ich schreiend auf die Wölfe zu, die erschrocken auseinanderstoben und hinter einigen Felsblöcken verschwanden. Dann entfachte ich rasch ein Feuer. Und als die Wölfe nach einer Weile zurückkamen, knurrend und fauchend, ihre Ruten wütend in den Boden schlagend, zog ich zwei brennende Äste aus den Flammen, stürmte in die Richtung der Tiere, schrie erneut aus vollen Lungen und schwenkte die Fackeln wild durch die Luft – bis die Tiere zurückwichen und endgültig davontrabten.
Anderntags war ich Gast in einem kleinen kurdischen Dorf, wo mir ein paar Männer von Sultan Saladin erzählten, der 1187 ein 60 000-Mann-Heer der Kreuzritter besiegte und die heilige Stadt Jerusalem für den Islam zurückeroberte. Vielen Feinden schenkte er damals das Leben und die Freiheit. Nicht zuletzt deshalb wird Saladin, der einst im Land der Kurden geboren wurde, von der kurdischen Bevölkerung noch heute verehrt.
Wir tranken Tee und aßen Fladenbrot, als acht türkische Soldaten lärmend in das Dorf stürmten. Rücksichtslos drangen sie in die Hütten der Bewohner ein und suchten nach Waffen. Es folgten rüde Verhöre. Doch die Kurden, die offiziell in der Türkei gar nicht existieren, zeigten sich trotzig und verschlossen. Schließlich war ich an der Reihe. Man wollte wissen, woher ich kam und wohin ich wollte. Argwöhnisch durchblätterte ein Soldat meinen Reisepass, während ein anderer den Rucksack filzte. Ich erklärte, dass ich mich auf einer Wanderung verlaufen hätte. Doch überzeugen konnte ich die misstrauischen und gereizten Soldaten nicht. Irgendwann stand fest: Ich musste die Patrouille zurück nach Hakkari begleiten.
Ein Gewehrlauf
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