Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
ab. Das war gefährlich, ich musste etwas tun. Doch bei dieser rauen See war es riskant zu steuern. Ich befühlte meine Fingernägel, sofern sie nicht schon abgebrochen waren. Verwundert stellte ich fest, dass sie an Bord schneller, viel schneller wachsen als an Land. Hat das etwas mit der sauerstoffreichen Meeresluft zu tun? Seltsame Gedanken.
Mir grauste vor dem Dadraußen, wo ich ungeschützt den Elementen ausgesetzt war. Doch mir blieb keine Wahl, ich musste an Deck und von Hand steuern. »Schnell raus.« Es war nicht einfach, sich selber Befehle zu geben. In einer böenfreien Phase schob ich mich durchs Luk und pickte meinen Karabiner der Sicherheitsleine ein. Ließ mich auf die Bank sacken, kuppelte die Kette der Aries von der Pinne und steuerte selbst. Die Pinne fühlte sich eigenartig dick an. Außerdem erschien mir das Cockpit total exponiert. Es war grauenhaft. Der Spritzschutz überm Niedergang war schon lange weggezurrt. Es war dunkel und die Luft von Nässe zerstäubt. Von Deck wurde das Wasser weggepeitscht. Reste aus Vertiefungen riss der heulende Wind hinaus. Ich steuerte nach Gefühl – Südostkurs etwa. Das Boot durfte auf keinen Fall querschlagen, das war meine Aufgabe.
Nachts. Die Seen fallen von backbord ein. Kann nur auf Kurs bleiben, indem ich mit der Pinne auf jeden groben Wellenkamm reagiere. Sehen kann ich sie nicht. Nur spüren. Sitze in Luv, also mit dem Rücken zu ihnen. Eine Hand umschlingt die Pinne, die andere dient der Sicherheit. Damit halte ich mich an einer Klampe oder einem Tau fest, und manchmal greife ich auch in den Wind, wenn es zu stürzenden Krängungen kommt. Die Segel sind Gott sei Dank festgezurrt. Die Atmosphäre ein Rauschen, ein Pfeifen, ein Brüllen ums Rigg. Bilder von einem sozusagen nackten Deck ohne Mast nehmen von mir Besitz.
Ich zwang mich, an etwas anderes zu denken. Zum Beispiel an die wunderschönen Linien meines Schiffes. Mit der freien Hand fuhr ich eine Kurve nach. Aber ich schaffte es nicht, mich dauerhaft auf andere Gedanken zu bringen. Später schrieb ich ins Logbuch:
Es ist weiter stockdunkel. Habe ein ungutes Feeling, wenn die See direkt von achtern kommt. Dann entwickelt sich eine Geschwindigkeit, die mir nicht angenehm ist. Kopfüber ins Wellental kann dieser Kurs zum Verhängnis werden. Festgekrallt zwischen Pinne und Cockpitbeschlägen erwarte ich den Morgen.
Mit der Dämmerung wurde es zwar heller, aber ich konnte nichts an Weite erkennen. Gischt und Wellentürme machten die Atmosphäre unsichtig. Nur vereinzelt waren Brecher auszumachen. Sie stürmten heran, schluckten sich und wurden dadurch höher und höher. Wenn ich Glück hatte, stürzten sie neben uns ab. Ich habe durchgesteuert, angetrieben vom Adrenalin.
Endlich, gegen Mittag des 114. Tages, hatte sich der Sturm ausgeweht und uns über 60 Meilen zurückgetrieben. Ein West mit Stärke 7 war geblieben. Und jede Menge Seegang. Der Kurs am 115. Tag, Nikolaus, bereitete mir zwar weiter Bauchschmerzen, aber er bescherte endlich Ruhe. Kojenruhe. Und ein Etmal von 92 Seemeilen. Nur wohin? Rund 50 Meilen östlich der neuen Position war ich schon am 1. Dezember gewesen (siehe Skizze).
Die Stürme setzten sich fort. Etwa drei Fronten pro Woche zogen durch. Das ging so bis zum Kap Leeuwin/Australien. Ich gewöhnte mich nie daran. Schwere Stürme waren mit Sorge verbunden. Immer. Eine Sturmtaktik hatte ich eigentlich nicht zur Hand. Ich regelte die Dinge nach Bedarf, Gefühl und Geschwindigkeit. Die Grundregel aber war: Bei 8 Beaufort hielt ich noch gegen an – mit Sturmfock und drei Reffs im Großsegel. Legte der Sturm zu, etwa auf 9 oder 10, nahm ich die Sturmfock weg und versuchte mit dem Rest Großsegel die Position zu halten. Bei Orkan über 11 Beaufort nahm ich auch den allerletzten Fetzen Segel weg und versuchte es mit Ablaufen.
Man muss das Wasser schon sehr mögen, um nach jedem Sturm erneut auf Kurs zu gehen und nicht den nächstliegenden Hafen anzusteuern. Trotzdem war ich der tristen Anblicke, die mir die Seekarte (dürftiges Vorankommen) und das Meer boten, überdrüssig und hing mal wieder meinen Erinnerungen nach. Ob ich wollte oder nicht, die Rückblende an eine große Stille ließ sich nicht aufhalten.
Nach einem Monat Unterwegssein saß ich mit kathena nui an einem frühen Septembermorgen in den Mallungen am Äquator fest. Peng. Aus war’s mit dem schnellen Segeln. Es wurde schwachwindig, und die Segel schlugen in der Dünung. Von schönen sechs Knoten Fahrt
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