Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
drittgrößte Wüste im Reich der Mitte. Die Namensgebung dieser Einöde ist bis heute nicht eindeutig geklärt: So wird diese Wüste auch Alashan-Gobi genannt, zählt sie doch zum Naturgroßraum der Wüste Gobi. Schon der russische Forscher Nikolai Prschewalski (1839–1888), der vor weit mehr als 100 Jahren durch die Wüsten Asiens reiste, hatte von dem Landstrich Alashan gehört, einer großen Ebene, die er für den Grund eines ausgedehnten Sees oder Meeres hielt. Riesige Salztonflächen und Salzseen, die hier auch heute noch zu finden sind, bestätigen diese Vermutung.
Mit zwei Kamelen war ich zu Beginn der neunziger Jahre unterwegs in die Innere Mongolei. Mit ihren knapp 1,2 Millionen Quadratkilometern ist sie eine der größten Provinzen Chinas mit dem Status einer autonomen Region. Zur einen Hälfte ist sie Wüste, zur andern Weideland. Bewohnt wird sie von etwa 19 Millionen Menschen, von denen 16 Millionen Han-Chinesen sind. Außerdem gibt es noch Hui, Mandschuren und 2,5 Millionen Mongolen, vor denen zu Zeiten Dschingis Khans die halbe Welt zitterte. 1949 wurden die Nachfahren dem chinesischen Riesenreich einverleibt. Doch für ein Leben in Städten und Fabriken sind die Hirten und Nomaden bis heute nur schwer zu begeistern.
Ich hatte mir vorgenommen, das ehemalige Reich der Tanguten, auch Xixia genannt, zu durchwandern. Dieses den Tibetern verwandte Volk stammt aus dem Gebiet des Kuku-Nor, dem nordöstlichen Teil der tibetischen Hochebene. Noch heute gelten die Xixia als sagenumwobenes Volk, das einst eine einzigartige Schrift entwickelte, die erst Anfang des 20. Jahrhunderts in einem entlegenen Buddhatempel der Wüste Gobi entdeckt wurde. Bereits vor 990 hatten die Xixia einen wehrhaften Nomadenstaat in Chinas Norden gegründet. 1227, nach einer zweihundertjährigen Herrschaft, wurden sie von den Mongolen überfallen. Damals hatten die Xixia die Oberherrschaft Dschingis Khans über Innerasien zwar anerkannt, doch sie folgten seiner Forderung nicht, die mongolischen Truppen in ihren militärischen Unternehmungen gegen das Reich der Mitte zu unterstützen. So kam es zum Krieg, wobei die Reiterlegionen der Mongolen das Volk der Xixia weitgehend auslöschten. Im gleichen Jahr starb auch Dschingis Khan. Ob auf dem Schlachtfeld im Kampf gegen die Xixia oder Wochen später nach schwerem Sturz von seinem Pferd, bleibt bis heute ein Rätsel. Ungeklärt ist auch die Frage, ob Angehörige der Xixia das einstige Gemetzel der Mongolen überlebten. Und: Wohin waren sie geflohen? Wissenschaftler haben mittlerweile Dokumente aus der Ming-Zeit (14. bis 17. Jahrhundert) entschlüsseln können, die auf eine weitere Existenz der Xixia nach dem Untergang ihres Reiches hinweisen. So sollen im gebirgigen Nordwestteil der chinesischen Provinz Sichuan Menschen leben, deren Sprache viele Ähnlichkeiten mit jener der Xixia aufweisen. Doch eindeutige Beweise gibt es nicht. Bis heute kann man nicht genau sagen, wohin die Überlebenden der Xixia einst flohen. Ihr Weg verliert sich in Überlieferungen und Geschichtsbüchern.
Mich lockten drei ausgedehnte Wüsten, die sich noch heute auf dem Gebiet des ehemaligen Xixia-Reiches erstrecken: die Badain Jaran, die Tengger und die Ordos, die ich von Westen nach Osten durchwandern wollte. Meine Reise sollte von jenem sagenumwobenen Buddhatempel im wüsten Westen Chinas bis zum Dschingis-Khan-Mausoleum bei Ejin Horo auf dem Ordos-Plateau führen. Eine Strecke von 1400 Kilometern. Meine Fortbewegungsmittel waren meine Füße und zwei Kamele, mit denen ich durch drei ozeangleiche Einöden ziehen wollte, die wie fast alle Wüsten Chinas als »Windkammer Asiens« gelten. Hier wütet nämlich der Kara Buran, der »Schwarze Sandsturm«. In manchen Jahren faucht er mehr als 100 Tage mit Stärke acht bis zwölf über das Land und zerstört alles, was sich ihm in den Weg stellt. Seinem Namen wird er meist schon deshalb gerecht, weil er oft den Himmel verdunkelt, wenn er aus Nordosten anrückt und über die weiten Wüstenregionen faucht. Ganze Karawanen und Städte sollen ihm im Laufe der Jahrhunderte zum Opfer gefallen sein. Sogar die gesamte Armee eines chinesischen Kaisers soll unter dem Sand einer 250 Meter hohen Düne begraben liegen.
Viele Monate der Planung lagen hinter mir, als ich nach Peking flog, ausgerüstet mit einem kleinen chinesischen und uigurischen Sprachschatz, den ich akribisch gelernt hatte. Im Zug reiste ich dann von Chinas Hauptstadt über 3000 Kilometer nach Westen.
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