Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
plumpsten wir förmlich innerhalb von zwei Stunden hinein in die große Flaute auf null Knoten.
Eine ganze Woche am Stück herrschte weitgehend Windstille. Die Dünung ließ den Mast durch den Himmel jagen. Um ihm mehr Halt zu geben, ließ ich das Großsegel mit zwei Reffs stehen. Es knirschte an Bord. Taue und Blöcke schlugen wie wild um sich. Ich musste mich beim Gang über Deck sogar festhalten, dermaßen stark rollte mein Boot.
Kleine Windkunde: Die Zone der Mallungen, auch Doldrums und Kalmen genannt, nimmt das Gebiet zwischen dem Nordost- und Südostpassat ein. Fester Luftdruck mit unbeständigen Winden oder längeren Windstillen, starke Bewölkung, viel Regen, heftigste Gewitter sind die Folge der wasserdampfreichen Luft, die hier durch die beiden Passate zusammengeführt wird. Die normale Ausdehnung der Mallungen (altdeutsch und ein schönes Wort) im Atlantik beträgt 300 Seemeilen, im Mittel zwischen dem Äquator und zehn Grad Nord.
Die Dünung verebbte langsam. Blauer Himmel knallte auf blaues Wasser. Stille. Ein Gefühl von Aufatmen stellte sich ein, denn der Passat (noch ein schönes Wort) zuvor war sehr rabiat gewesen mit weißen Kämmen, sandigem Wüstenwind und viel Nässe.
Etmale waren trotz Stille noch vorhanden. Mit schwachen Tagesdistanzen von 20, 42, 28 … arbeiteten wir uns voran. Diese Seemeilen waren nur mit Schweiß und Aufmerksamkeit zu bewältigen.
Windstille in den Tropen bedeutet, das Thermometer steigt und damit auch der Durst. Obendrein gab es keine Kühlmöglichkeit an Bord. Alles war lauwarm. Ich blieb dennoch aktiv: Segel hoch, bergen, einreffen, ausreffen, ausbaumen, Segel einsacken. – Nicht genug, ich setzte fort: Beiboot auspacken, Boden einlegen, es zu Wasser lassen, wegpaddeln. Ich machte mir tatsächlich bei 35 Grad Celsius die Mühe, mit dem Dingi eine weite Runde um mein Boot zu paddeln. Ich wollte meine kathena nui in ganzer Figur aus der Ferne anschauen.
Die Windstille dehnte sich mehr und mehr aus. Die See wurde absolut platt. Das ewige Klick-Klack am Mast war kaum noch wahrzunehmen. Doch die Flaute schenkte mir die nötige Kraft, dem nächsten Wetter zu begegnen. Die Stille tat mir gut. Es gab Tage, wo ich nur mit einem Fetzen Segeltuch auf dem Meer trieb und an die 20 Stunden durchgeschlafen habe. Gestört von rein gar nichts. Ich nutzte die Flaute, um zu schwimmen, an Deck zu liegen, um Fische, Seevögel und Wolkenbilder zu beobachten, wobei die Himmelswölbung die meiste Zeit geschlossen war. Die Wolkenschicht saß auf dem Wasser wie ein Deckel auf dem Topf. Dabei dachte ich, Mensch, es geht dir gut, und dankte wieder einmal Gott, dass er den Stürmen Windstillen gegenübergestellt hat. Windstille auf offener See? Tut mir gut. Ich dachte an Jesus, der 40 Tage in die Wüste ging und sich mit Stille und Hitze konfrontiert sah.
Nach der Hitze des Tages lag ich im Cockpit mit Kissen und Wolldecke als Unterlage, um dort zu nächtigen. Total entspannt und irgendwie glücklich. Die Ruhe während meiner Reise war selten völlig ungestört, denn Segel vibrieren, Fallen schlagen, das Wasser plätschert am Rumpf entlang. Doch Stille ist die heimliche Sehnsucht des Menschen. Wie sich Stille anhört, davon bekommt man am besten eine Ahnung in den Mallungen des Äquators. Die Dünung des Ozeans ist zum Stillstand gekommen, die Dinge, die Krach und Lärm verursachen, sind gebändigt. In dieser Stille schob ich abends ein Abba-Band in den Kassettenrecorder – und es geschah erst mal nichts. Angespannt lag ich auf der Bank. Absolute Stille hat etwas Magisches. Nach einer Ewigkeit kam endlich der Ton – »I have a dream«. Mich berührte das Lied sehr, auch wenn es ein Popsong war. In dem Moment bedeutete mir die Musik den ganzen Ozean.
Die Musikstunde war fortan jeden Abend die Krönung. Kein Laut, keine Störung, kein Tun unterbrach sie. Es gab lediglich die melodische Musik, das Meer, mein Boot und mich. Selten habe ich mich so frei gefühlt, unerreichbar auf dem Atlantik treibend. Kein Licht am Horizont, kein Mond, kein Stern am Himmel. Ich dachte an Bernard Moitessier, der auch ohne Maschine unterwegs gewesen war und geschrieben hatte: »Es ist wundervoll, Wind zu haben. Es ist ebenso wundervoll, keinen Wind zu haben und nicht einmal zu wissen, seit wie lange nicht mehr.«
Recht hatte er.
Als ich auf See ging, wollte ich fliehen, weg sein, zu mir kommen. Das ist mir in diesen Tagen und Nächten gelungen. Die einzige nennenswerte Veränderung war die
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