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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel & Kimche AG
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er.
    Worüber?, sagt sie.
    Dario Negrotti, zweiundvierzig, klopft an die Tür seiner Kinder: Ich gehe spazieren, kommt ihr mit?
    Zu dritt spazieren sie über das weite flache Feld nach Egliswil, ein Sonntag im März, es regnet, Dario sagt: So ernst meint die Mama das nicht.
    Judith schläft jetzt im Zimmer der Tochter.
    Tu das nicht! Lass uns reden, Judith, lass uns retten, was zu retten ist, lass uns wegziehen, irgendwohin, und dort fangen wir neu an.
    Eheberatung in Aarau, drei Mal, vier Mal, fünf Mal.
    Judith schläft wieder neben Dario.
    Ein kalter Kuss.
    Wir fangen neu an, irgendwo, sagt er.
    Ich kann nicht mehr, sagt sie.
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    Es ist niemand im Haus, als Dario Negrotti, dreiundvierzig, am 31. Mai 2006 seine Familie verlässt, Mittwoch, Oberdorfstrasse 11. Er lädt einen Koffer ins Auto, darin seine Kleider, er nimmt die Musikanlage mit, die Schallplatten, die CDs, die Programmhefte, drei Tassen mit goldenem Rand, die er einst auf einem Flohmarkt kaufte, ein paar Bücher, Die Nashörner, ein Ungeheuer bin ich, ein Ungeheuer, nie werde ich Nashorn, nie, nie!
    Das alte Haus, in das er zieht, steht auf einem Hügel, umgeben von niedrigem Buchs, nachts knarren die Balken, die Bretter, oft sitzt er in der dunklen Küche, erhellt von einer Kerze, und weint.
    In der Familie ein Versager, im Beruf ein Langweiler, eine Null, eine feige schwule Null –
    Luca und Stella kommen alle zwei Wochen, Dario kocht, er schickt Geld, 1850 Franken im Monat, nachts steht er um ein Uhr auf, fährt zur Großbäckerei der Migros, formt Gipfel, Kuchen, Torten, kommt um elf nach Hause, legt sich hin und schläft.
    Oft sitzt er am Tisch in der kleinen dämmrigen Küche.
    Soll ich?
    Soll ich?
    Er zittert, als er in Die Männerzone tritt, Kernstrasse 57, Zürich, es ist warm und dunkel da drin, laut, sie schauen und mustern, Dario stellt sich an den Tresen und schweigt, trinkt Wasser und schweigt, geht wieder, fährt nach Hause.
    Ich kann das nicht.
    Nicht einmal das –
    www.gayromeo.com
    Suchst du deinen Traumprinzen? Oder einfach geile Kerle zum Druck ablassen? Mit unserer umfangreichen Suche findet hier jeder Topf seinen Deckel.
    Dario Negrotti, vierundvierzig, Konditor-Confiseur, fährt zu ihm nach Hause, die Hände feucht und kalt.
    Er sagt: Es ist mein erstes Mal.
    Kein Problem, sagt der Mann und küsst ihn.
    Kirchenchor am Dienstagabend.
    Luca und Stella alle zwei Wochen.
    Wieder sitzt er am Tisch in seiner dunklen kleinen Küche, eine Kerze vor sich.
    Nachts knarren die Balken, die Bretter.
    Soll ich?
    Wenn, dann in der Badewanne.
    Den Schlüssel zum Haus könnte ich, bevor ich es tue, der Polizei schicken oder dem Spital.
    Mit einem Brief, wo ich liege.
    Damit mich nicht die Kinder finden.
    Eine Frau, Kollegin in der Bäckerei, lacht Dario ins Gesicht, sie berührt seinen Arm, Dario schreckt zurück, sie sei, sagt sie endlich, ein bisschen verliebt in ihn.
    Du bist doch solo?, fragt sie.
    Das schon!
    Aber schwul oder was?, lacht die Frau.
    Und Dario lacht mit.
    Am nächsten Tag, nach schlafloser Nacht, ruft er sie an. Renata, du bist, abgesehen von ein paar Kerlen, der erste Mensch, der es erfährt – ich bin schwul.
    Kirchenchor am Dienstag, die Kinder alle zwei Wochen.
    Dario Negrotti schmerzt der Kopf, manchmal der Bauch, das Bein, er geht zum Arzt, lässt prüfen, das Blut, das Herz, die Lunge, die Augen, den Kreislauf, den Rücken, körperlich, sagt der Arzt, sei, soweit er sehe, alles in Ordnung, aber sonst? Er gibt ihm einen Zettel, darauf die Nummer einer Psychologin.
    An einem Samstag, 2009, reist er nach Derendingen, das Dorf der frühen Jahre, Darios Bruder hat Geburtstag, auch die Mutter ist dort, die zwei Schwestern, Dario erzählt, neulich sei er beim Arzt gewesen, alles in Ordnung, und der Bruder, zwei Jahre älter, scherzt, um das zu erfahren, brauche man doch nur in den Spiegel zu schauen, Dario lärmt: Deine Sprüche, ich habe sie noch nie ertragen.
    Er übernachtet im Haus der Mutter, Kanalgasse 2, sitzt am Tisch, an dem der Vater einst saß und schwieg oder lärmte, und die Mutter fragt: Bub, was ist nur los mit dir?
    Jetzt heult Dario Negrotti, sechsundvierzig, und schluchzt, dass es ihn schüttelt, er wimmert und schnäuzt, kann nicht reden, eine halbe Stunde lang.
    Mami, ich bin schwul.
    Sie steht auf, nimmt den Sohn in ihre Arme und sagt: Dann mach, dass du glücklich wirst.
    Immer wieder setzt er sich ins Zimmer der Psychologin und zieht sein Leben aus.
    Einmal, in der sechsten Klasse,

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