Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
heißt?
Sie wollen es wissen?
Ja.
Sanne hat Blasen, ihr Leben lang, ständig neu, an den Beinen, an den Armen, vielleicht auch im Mund, in der Speiseröhre, jeden zweiten Tag erhält sie neue Verbände, möglich nur unter Narkose, Haut, die sich erst gebildet hat, reißt wieder auf, vielleicht verwachsen ihre Zehen, die Finger, sie bekommt, wenn Sie es so genau wissen wollen, irgendwann Hautinfektionen, ihr Körper verkrustet, vernarbt.
Dann, sehr wahrscheinlich, Hautkrebs.
Nichts kann ihr helfen?, fragt Linda.
Nur Morphium.
Täglich?
Der Arzt nickt.
Solange sie lebt?
Er schweigt.
Das will ich nicht, weint Linda.
Wir verlangen von Ihnen, sagt jetzt Johan, dass Sie Sanne sterben lassen.
Dass Sie nichts tun, was Sannes Leben verlängert, ihre Qual, ihr Leiden.
Und wehe, sagt Johan, lang und hager, und wehe, ich komme dahinter, dass Sie es tun.
Sanne liegt in ihrem Kasten, sie wimmert, Linda krümmt sich zum Kind und legt einen kleinen weichen Bär aus Plüsch, den sie seit Stunden auf ihrer Brust trägt, neben Sannes Gesicht.
Damit sie weiß, wie ihre Mutter riecht.
Emmen, Dordsestraat 33, zweiter Stock, Milch abpumpen.
Linda, es ist doch richtig, was wir denken?
Ihr braucht Hilfe, sagt Lindas Mutter und ruft ihren Neffen an, Jurist beim Justizministerium in Den Haag. Der nennt ihr eine Stiftung in Utrecht, Stichting Dilemma, die sich mit Fragen von Leben und Tod unheilbar kranker Säuglinge beschäftigt.
Aber nennt, wenn ihr dort anruft, vorerst euren Namen nicht, sagt der Neffe.
Kein Schlaf, wieder fahren sie nach Groningen, Tag 4, Linda krümmt sich zu ihrem Kind und bettet ein Plüschbärchen, warm von ihrer Brust, neben Sannes Gesicht, stopft sich jenes, das sie am Vortag hinlegte, unter den Pullover, Dienstag, 23. Januar.
Ich möchte Sanne, sagt sie zur Pflegerin, ein paar Kleidchen bringen.
Besser nicht, sagt die Pflegerin, normale Kleider kann ihr Kind nicht tragen, oder höchstens umgedreht, die Naht nach außen.
Johan macht Fotos.
Vielleicht die letzten, sagt er.
Vielleicht, sagt sie.
Hoffentlich, flüstert der Mann.
Tag nach Tag fahren Linda und Johan M. nach Groningen, eine Stunde weit, und stellen sich neben Sannes Kasten, Linda krümmt sich zu ihrem Kind und bettet ein Plüschbärchen, warm von ihrer Brust, neben Sannes Gesicht, stopft sich jenes, das sie am Vortag hinlegte, unter den Pullover.
Was, wenn man uns heute Nacht anruft und sagt, Sanne sei tot, was dann?
Sanne!
Wir möchten sie in unserer Nähe, wir wollen, dass sie nach Emmen kommt.
Am 31. Januar, Tag 12, bringt der Krankenwagen Sanne M. ins Krankenhaus von Emmen, Zimmer 4.22, ein Radio läuft, Linda sitzt neben dem Bett, Tag für Tag, manchmal geht sie hinüber in den Nebenraum, kocht Kaffee und wartet, bis Johan aus der Bäckerei kommt, manchmal spielt sie Sanne eine CD vor, es fährt ein Züglein ins Träumeland, hinter dem Steuer ein Elefant.
Was können wir tun, damit sie stirbt?
Rechtlich nichts, sagt die Stiftung Dilemma.
Jeden zweiten Tag erhöhen die Pflegerinnen die Dosis, dann holen sie das Kind aus seinen Binden, manchmal schläft es, oft schreit es, rote blutige Wunden leuchten auf.
Aber irgendwann, nehme ich an, werden Sie Ihr Kind mit nach Hause nehmen!, sagt jemand und lächelt.
Ich kann das nicht, Johan, ich kann sie nicht quälen, ich kann das nicht.
Was Ihnen bleibt, ist Hoffnung, sagt Dilemma.
Dass sie bald stirbt.
Wie fühlt eine richtige Mutter?
Lindas Frauenarzt, der Freund, sagt: Euren Maxi Cosi, den Kinderwagen, den werdet ihr, um ehrlich zu sein, wahrscheinlich nie brauchen.
Eine gute Nachricht, weint Johan.
Linda zieht durch die Läden der Innenstadt, kauft nahtlose Kleidchen, näht ihrem Kind eine Decke aus weichstem Fleece.
Irgendwann, vielleicht am Tag 14 oder 15, steht Johan an Sannes Bett, zwei Pflegerinnen nehmen ihr Blut, mit Nadeln stechen sie in Sannes Haut, eine Blase wächst, sie versuchen es wieder, eine Blase wächst, Blase nach Blase, Sanne schreit und krümmt sich vor Schmerz, dann stechen sie ihr in den Kopf.
Besser, sagt Dilemma am Telefon, ihr erzählt keinem, was ihr euch wünscht.
Dordsestraat 33, im Erdgeschoss die Bäckerei, unter dem Dach ein leeres Zimmer, apfelgrün, Johan sitzt im Keller und hört seit einer Stunde laute Musik, Supergirl, Supergirl, Lindas Mutter sagt: Ihr braucht Hilfe, morgen schicke ich einen Arzt ins Haus.
Was Sie wollen, wollen Sie aus Liebe zu Ihrem Kind.
Was Sie sich wünschen, ist nicht falsch, sagt der Arzt, ein grauer
Weitere Kostenlose Bücher