Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
die ersten zehn Tage der Enkelin, jedes in glänzendem Papier.
Pack eins aus, sagt der Vater.
Pack aus.
Zwei kleine gelbe hölzerne Schuhe.
Klumpfüße!
Linda schluckt und heult.
Noch eins, pack noch eins aus, sagt die Mutter, jetzt erst recht.
Um elf fährt Johan nach Hause, Dordsestraat 33, in seiner Bäckerei hängen, eine Überraschung der Angestellten, rosa Ballons, Kunden reichen dem Mann die Hand, Glückwunsch, Johan!, Glückwunsch an Linda!, wie schwer?, wie groß?
Johan dreht sich um und reist zurück ins Krankenhaus, Boermarkeweg 60, wieder eilt er durch die Gänge, zuerst zu Sanne, die jetzt schläft, dann zu Linda. Im Rollstuhl stößt er sie hinüber zum Kind, Sannes Beine, Sannes Arme stecken in weißen Binden, man habe, sagt die Pflegerin, der Tochter ein Mittel gegeben.
Wozu? Wogegen?
Darf ich sie streicheln?, fragt Linda.
Die Pflegerin hebt Sanne langsam aus dem Bett, langsam legt sie es auf ein Kissen, legt das Kissen auf Lindas Schoß.
Diese Sommersprossen.
Ihre Wimpern.
Sie fahren doch mit nach Groningen?, fragt die Pflegerin.
Zwölf Stunden alt, liegt Sanne M. im Krankenwagen, gepolstert mit Watte und Stoff, beruhigt mit Paracetamol, eine Stunde nordwärts, A28, Linda und Johan M., Eltern seit einem halben Tag, sitzen in der Küche ihres Hauses, zweiter Stock, unter sich die Bäckerei voller rosa Ballons, über sich das Kinderzimmer, apfelgrün, die Frau sieht die Stapel von rundem Zwieback, die Pakete voller rosa Streusel, bereit für die, die vielleicht kommen, um Sannes Geburt zu feiern.
Ich sollte jetzt bei ihr sein.
Du nützt ihr nichts, sagt Johan.
Trotzdem.
Du brauchst Ruhe.
Am frühen Sonntagmorgen, Tag 2, fahren sie, begleitet von ihren Müttern und einer Freundin, nach Groningen, Universitair Medisch Centrum, nackt liegt das Kind in einem Kasten aus Kunststoff, dunkle rote Wunden an Beinen und Armen, Sanne wimmert.
Große Schmerzen kann sie nicht haben, sagt die Pflegerin, Morphium.
Darf ich sie streicheln?
Johan macht Fotos.
Sie sitzen am Tisch ihrer Küche, Emmen, 21. Januar, jemand läutet an der Tür, der Frauenarzt, ein Freund, er habe sich kundig gemacht, sagt er, zumindest ein bisschen, nach allem, was er nun wisse, könnte Sanne sehr wohl an EB leiden, Epidermolysis bullosa, auch Blasenkrankheit genannt.
Eine Blasenkrankheit?
Die Haut, sagt der Freund, besteht aus mehreren Schichten. Die sind miteinander verbunden. Fehlen diese Verbindungen, diese Eiweiße, entstehen Blasen und Wunden.
Johan, schmaler denn je, steht jetzt auf und schmeißt den Stuhl in die Ecke und rennt hinüber in sein Büro, setzt sich vor den Computer und tippt den Namen von Sannes Krankheit ein, seit 1999 wird die Epidermolysis bullosa (EB) nach Expertenkonsens in drei Hauptformen unterteilt, EB simplex, EB junctionalis, EB dystrophica, die Krankheit wird umgangssprachlich auch als Schmetterlingshaut bezeichnet, sie ist nicht ansteckend, schmälert nicht die Intelligenz, in der Mehrzahl der Fälle sterben betroffene Kinder im Lauf der ersten zwei Lebensjahre.
Linda zersticht die rosa Ballons.
Am Abend kommt die Hebamme und sieht nach Lindas Wunde, sie setzen sich an den Tisch, wieder läutet es an der Tür, wieder der Freund, Lindas Frauenarzt, eigentlich, um ehrlich zu sein, sei nichts anderes möglich als EB, sagt er, Sanne sei ein Schmetterlingskind.
Dann verkaufen wir, weint Linda, die Bäckerei, das Haus, alles, und ziehen nach Amerika, dort kann man ihr helfen.
Man kann ihr nicht helfen, Linda.
Dann sagt die Hebamme mit rauchiger Stimme: Schwere EB ist mit dem Leben nicht vereinbar.
Was redet die?
Das Leben mit schwerer EB ist kein Leben, sagt die Hebamme.
Dordsestraat 33, es ist längst Nacht.
Wenn das so ist, sagt Linda, Mutter seit zwei Tagen, wenn das so ist, dann.
Wenn das so ist, dann soll Sanne nicht lange leiden.
Ja, sagt Johan.
Wenn das so ist.
Mann und Frau weinen sich in den Schlaf, drei Stunden, vielleicht vier.
Epidermolysis bullosa, eine genetisch bedingte Krankheit, zwar selten, höchstens zehn Kinder pro Jahr werden in den Niederlanden damit geboren.
Das wissen wir längst, fährt Johan den Dermatologen an, Universitair Medisch Centrum Groningen, das wissen wir schon. Sagen Sie uns nur, welche Form sie hat, die leichte, die schwere?
Die Frau dreht sich zum Mann, legt ihre Hand auf seinen Arm, Tag 3, Montagmorgen, 22. Januar.
Die mittlere, sagt der Hautarzt.
Von der mittleren Form der schlimmste Subtypus, das Hallopeau-Siemens-Syndrom.
Das
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