Von dir verfuehrt
einen Stich, weil er das Recht dazu vor langer Zeit verloren hatte.
„Sie ist vor drei Jahren gesto rben“, entgegnete ich knapp.
Stefans Mundwinkel sackten nach unten. „Gott, Hannah. Das … das wusste ich nicht. Scheiße.“ Betroffen streckte er seinen Arm nach mir aus. Als hätte es die Trennung nie gegeben, strich er über meine Wange. Ich wollte ihm ausweichen, seine Hand wegschlagen und ihn stehenlassen. Aber ich schaffte es nicht. Plötzlich war da diese Nähe, diese verloren geglaubte Vertrautheit und … noch was anderes. Etwas, dass mich ängstigte und verwirrte.
Scheu wagte ich einen Blick in seine Augen. Forschend und neugierig sahen sie mich an, nahmen mich mit einer Intensität gefangen, als sögen sie den Schmerz und die Gram in meinem Herzen auf. Ich hielt den Atem an, weil ich fürchtete, diesen Moment, der sich so fremd und zugleich gut anfühlte, durch die kleinste Regung zu Nichte zu machen.
„Hannah“, flüsterte Stefan und glitt mit seinen Fingern zu meinem Nacken, begann mich zu kraulen. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich spürte, wie sich meine Lider senkten, mein Kopf nachgab und sich in seine warme Hand schmiegte.
„Hannah?
Ich schlug die Augen auf und sah seinen besorgten Blick, der mich schlagartig in die Gegenwart katapultierte.
„Es gibt e twas, was du wissen solltest …“
„Hey!“, drang eine vertraute Stimme an meine Ohren, bevor St efan seinen Satz beendet hatte.
Nadine! Meine ehemals beste Freundin quetschte sich zwischen uns. Blitzschnell nahm Stefan seine Hand von meinem Gesicht, sah mich entschuldigend an und kassierte von Nadine einen misstrauischen Blick. Ich musste unwissentlich jemandem schlimmes Leid zugefügt haben, andernfalls konnte ich mir nicht erklären, weshalb mich das Schicksal so schonungslose mit meiner Vergangenheit konfrontierte.
„Was … machst du denn hier, Hannah?“, war alles, was meine ehemals beste Freundin nach so langer Zeit über de Lippen brachte. F reude sah definitiv anders aus.
„Ich hab Hannah zu fällig getroffen“, antwortete Stefan ungefragt und fuhr mit seiner Hand übers Gesicht.
„Aha …“ Nadine bedachte mich mit einem skeptischen Blick und sah immer wieder zw ischen ihm und mir hin und her. „Was für ein schöner Zufall“, heuchelte sie und ergriff seine Hand.
Der Anblick traf mich wie ein gezielter Faustschlag in die Magengrube un d ich sackte innerlich zusammen, als ich den Ring an ihrem Finger entdeckte. Es war das gleiche Silber, der gleiche Stein, derselbe verdammte Ring. Ungläubig starrte ich die beiden an, wartete auf das „ Haha, verarscht!“, aber es blieb aus. Ich hörte die Tüte, die sich gerade noch zwischen meinen Fingern befunden hatte, raschelnd zu Boden fallen und schlang meine Arme um meinen Bauch, der sich anfühlte, als fräße sich Säure durch meine Eingeweide. Jene Klinge, hatte längst alle Narben aufgeschnitten und mir neue, tiefere, Wunden hinzugefügt. Ich spürte nur noch Schmerz, nichts als Schmerz, der mir in die Nase und die Augen schoss. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht vor denen, dachte ich und blinzelte aufsteigende Tränen weg. Wie eine Schauspielerin, die sich wieder an ihren Text erinnerte, bückte ich mich, hob die Tüte auf und lächelte. „Wie ich sehe, läuten bald die Hochzeitsglocken“, hörte ich mich sagen und erkannte meine eigene Stimme nicht.
„Hannah ich …“, setzte Stefan an, wurde aber von Nadine unterbrochen: „Ja, am 14.04.2014“, verkündete sie stolz, und ich sah zu, wie meine ehemals beste Freundin, meinem ehemaligen Verlobten eine n Kuss auf die Lippen drückte. Stefan blickte beschämt zu Boden, und ich wusste nicht ob ich kotzen oder heulen sollte. Stattdessen verharrte ich in meiner Rolle der unbeteiligten Ex und schlang meine Arme um das glückliche Paar. Hätte man mir in diesem Moment ein Messer gereicht, ich hätte es ohne zu zögern in deren Rücken gerammt.
Zu dem Schmerz gesellte sich nun Enttäuschung und Wut. Schnell löste ich die Umarmung und spürte, wie meine Maske zu verrutschen drohte. Und ich besaß weder die Stärke, noch d ie Lust sie wieder zu richten. „Ich … wünsch euch alles Gute“, presste ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor und verabschiedete mich.
Im Zug rang ich um Fassung. Nicht weinen, nicht vor den Augen Fremder und … erst recht nicht wegen Stefan und Nadine, ermahnte ich mich. Ich verspürte große Lust mich selbst übers Knie zu legen, mir das Bild von ihr und ihm aus dem
Weitere Kostenlose Bücher