Von Feuer und Nacht
dich bestimmt nicht dazu gezwungen.«
»Ach? Vor zwei Tagen mischte er meinen Speisen ein starkes Abtreibungsmittel bei. Wenn wir es nicht rechtzeitig bemerkt hätten, wäre es zu einer Fehlgeburt gekommen. Zum Glück haben wir es uns zur Angewohnheit gemacht, unser Essen auf Gift zu untersuchen.«
»Du übertreibst.«
»Ich übertreibe? Was ist mit den Delfinen?« Kummer zeigte sich in Estarras Gesicht. »Die wunderschönen Delfine ... Wir sind mit ihnen geschwommen.« Sie schluckte, und ihr Atem stockte. »Wenzeslas ließ sie töten. Als wir zum Becken kamen, war das Wasser voller Blut und Fleischbrocken. Stell Nachforschungen an. Dann wirst du feststellen, dass ich recht habe.« Sarein blinzelte verblüfft. Dies konnte Estarra wohl kaum erfunden haben. Ihre Schwester fuhr mit den Anklagen fort. »Nach Prinz Daniels Fluchtversuch hat man versucht, alles zu vertuschen, und er wurde unter Drogen gesetzt. Der Vorsitzende brachte Peter zu ihm und drohte damit, dass es ihm ebenso erginge, wenn er sich nicht fügte. Doch dann, bei der Kompi-Revolte, handelte Peter unabhängig, und deshalb hat der Vorsitzende Daniel aus dem künstlichen Koma geweckt und plant nun, ihn auf den Thron zu setzen.« Es blitzte in Estarras Augen. »Anschließend sollen wir getötet werden. Mr. Pellidor hat ganz offen davon gesprochen.«
»Aber... das ist...«
Estarra wirkte müde und alt. Sarein befürchtete plötzlich, nie wieder das staunende Mädchen zu sehen, das einst voller Begeisterung in den Bäumen geklettert und durch den Wald gelaufen war. »Sarein, ich habe dich immer für klug und feinsinnig gehalten. Du hast Jahre auf der Erde verbracht und Dinge gelernt, von denen niemand von uns auf Theroc etwas wusste. Aber all das hat dich nur auf eine andere Weise naiv gemacht.«
Sarein wollte an dem Glauben festhalten, dass Basil nicht zu so schrecklichen Dingen fähig war, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Estarra recht hatte. Sie hatte mehrmals erlebt, wie der Vorsitzende der Hanse schnelle, krasse Entscheidungen traf. Sarein musste sich eingestehen, dass er auch deshalb so attraktiv für sie gewesen war.
»Basil Wenzeslas will in fünf Tagen ein Bankett für Daniel stattfinden lassen«, sagte sie besorgt. »Dabei soll er erneut der Öffentlichkeit vorgestellt werden.«
Estarra nickte traurig. »Und nachher ziehen sich König und Königin in den >Ruhestand< zurück.«
»Das bedeutet nicht...«, begann Sarein. »Doch, es bedeutet genau das!« Estarra drehte sich verärgert um und ging in Richtung Tür, wo die Wächter warteten. »Warte, Estarra!«
Die Königin blieb stehen und sah ihre Schwester an. »Ich weiß nicht mehr, ob du eine Verbündete bist oder ein Feind, Sarein. Für welche Seite entscheidest du dich?« Sie schnaufte abfällig. »Der Vorsitzende Wenzeslas wird versuchen, uns zu töten. Er hat bereits mit der Ausführung seiner Pläne begonnen. Du kannst mir glauben oder entscheiden, dir auch weiterhin selbst etwas vorzumachen. Du hast diese Freiheit. Peter und ich haben sie nicht.«
95 CONRAD BRINDLE
Das große Scoutschiff näherte sich Qronha 3. Es ähnelte den militärischen Schiffen, die Conrad Brindle vor Jahrzehnten als TVF-Pilot geflogen hatte, und abgesehen vom Piloten bot es noch sieben Passagieren Platz. Das Passagierabteil war jetzt leer, aber er hoffte, dass er Überlebende von den Rammschiffen aufnehmen konnte.
Conrad hatte den größten Teil seines Lebens in der Terranischen Verteidigungsflotte verbracht, wie auch seine Frau Natalie. Und ihr Sohn Robb. Sie waren sehr stolz auf ihn gewesen, als er sich für den Dienst in der TVF entschieden hatte, als er Remora-Pilot geworden und später zum Staffelführer befördert worden war.
Und dann hatten die Droger ihn getötet.
Robb hatte immer dazu geneigt, voreilig zu handeln. Manchmal war das eine gute Taktik, aber bei anderen Gelegenheiten wurde man dadurch Kanonenfutter. Robb war zusammen mit vielen anderen Soldaten bei der Schlacht von Osquivel ums Leben gekommen. In einer gepanzerten Kapsel hatte er die Tiefen des Gasriesen aufgesucht, um dort zu versuchen, mit den Fremden zu kommunizieren -ohne Erfolg. Conrad bedauerte, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, zuvor von seinem Sohn Abschied zu nehmen.
Seit jenen Ereignissen war alles anders geworden. Aufgrund der Mobilisierung trug Conrad wieder die Uniform eines Lieutenants. Natalie und er hatten sich schon vor Jahren in den Ruhestand zurückgezogen, aber wie viele andere mussten sie in den
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