Von Flammen verzehrt
Kummer.
„Elisabetta war spurlos verschwunden. Viele Wochen lang. Dann kam die Nachricht.“
Julien sah Fay an und räusperte sich, um seine Kehle zu entspannen.
„Die Nachricht von heute erinnert mich stark an die Botschaft von damals. Wir sollten zum Bocca della Verità kommen – genau, wie es nun der Wanderer von uns verlangt.“
Fay runzelte die Stirn.
„Was ist das Bocca della … Veri -Dings?“
„Der“, verbesserte Julien. „Der Mund der Wahrheit ist eine bekannte Sehenswürdigkeit in der Kirche Santa Maria in Cosmedin .“
„Schon wieder die Wahrheit ? Was hat es damit auf sich?“, fragte sie und rutschte weiter aufs Bett, um es sich im Schneidersitz bequem zu machen.
Julien atmete tief durch. In der Vergangenheit zu graben, fiel ihm schwerer, als gedacht.
„Der Mund der Wahrheit war einst ein kunstvoller Schachtdeckel der Cloaca Maxima, den das Abbild einer Flussgottheit ziert. Er trägt den Namen aus mehreren Gründen. Zum einen wird behauptet, er habe die Wahrheit über den großen Brand Roms unter Nero geschluckt – ich erzähle dir später mehr darüber. Zum anderen wurde irgendwann, nachdem man den Abwasserkanal an dieser Stelle versiegelt hatte, der Schachtdeckel zum Symbol der Wahrheit und Werkzeug der Gerichtsbarkeit zur Verurteilung von Lügnern. Wer der Lüge verdächtigt wurde, musste seine Hand in den Mund des Marmorreliefs legen. Zog er die Hand unbeschadet wieder heraus, war er von der Lüge freigesprochen. Lügnern biss der Mund aber die Hand ab.“
Julien zwinkerte.
„Was natürlich Unsinn ist. Ein Richter mit Schwert, der sich auf der anderen Seite der Steinplatte befand, vollstreckte das Urteil und schlug dem Verurteilten die Hand ab.“
„Das ist ja furchtbar!“
Fay schüttelte sich und rieb sich über die Gänsehaut an ihren Armen.
„Warum will der Wanderer, dass wir ihn dort treffen?“
Julien zögerte.
„Ich denke, es hat mit Elisabetta zu tun – und damit, uns zu zeigen, wie mächtig unsere Feinde sind.“
Fay sah Julien fragend an.
„Als wir den Bocca della Verità erreichten, fanden wir Elisabetta. Sie lag am Boden – aber uns war nicht sofort klar, was man ihr angetan hatte. Gabriel eilte zu ihr und küsste sie, bettete ihren Kopf auf seinen Knien. Aber es war Arjen, der das Blut sah, das die Kutte tränkte, die sie trug.“
Julien stockte und schüttelte den Kopf. Er sah die grausamen Bilder so deutlich vor sich, als wäre es erst gestern gewesen.
„Er hob den Stoff an … und es war furchtbar, den blutigen Stumpf zu sehen, der einst ihr Arm gewesen war. Dem vielen Blut nach zu urteilen, in dem sie lag, standen ihre Chancen auf Rettung schlecht. Wir versuchten, die Blutung zu stillen, und tatsächlich kam sie zu Bewusstsein. Sie weinte und klammerte sich an Gabriel, bat ihn um Vergebung. Es war schlimm für uns alle, ihre Beichte anzuhören.“
Die Erinnerung an damals tobte wie ein Feuer in Julien.
„Was hat sie getan?“
„Sie hat Gabriel ihre Lügen gestanden. Erklärt, dass man uns mit dem vermeintlichen Tunnelunglück eine Falle gestellt hatte. Und wir waren darauf hereingefallen, indem wir versucht hatten, dem auf den Grund zu gehen. Eine Frau, die das heimliche Haupt der katholischen Kirche sei, habe dieses Gerücht gestreut, um uns, die Hüter, nach Rom zu locken. Und ihr, Elisabetta, habe sie Geld geboten, einen von ihnen zu verführen und schwanger zu werden. Sie flehte Gabriel an, ihr zu verzeihen, aber der Verrat der Frau, für die er beinahe seine Bestimmung aufgegeben hätte, traf ihn zu hart.“
Fay sah den Schmerz in Juliens Gesicht. Obwohl sie noch immer böse auf ihn war wegen der Dinge, die er zu Lamar gesagt hatte, strich sie ihm liebevoll die Haarsträhne aus der Stirn.
„Es ist zu grausam! Hatte man ihr also den Arm abgehackt, weil sie eine Lügnerin war? Was war mit ihrem Baby? Ist es gestorben?“, fragte sie erschüttert, aber Julien schüttelte den Kopf.
„Der Arm ist der Preis, den Lügner zahlen. Eine deutliche Botschaft, nicht wahr? Ihre Auftraggeber hatten sie anscheinend verurteilt. Aber das Kind ist nicht gestorben. Es ist Alessa! Sie ist durch Gabriels Liebe zu dieser Frau entstanden, die nie auch nur einen Funken Zuneigung für ihn empfunden hatte, sondern für die das alles nur ein Geschäft gewesen war.“
„Alessa? Das ist nicht möglich. Sie hat gesagt, Gabriel lernte Elisabetta 1896 kennen. Das war vor über hundert Jahren!“
Julien lächelte und hauchte einen Kuss auf Fays
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