Von Flammen verzehrt
– damit meint er sicher Alessa – könne den Schlüssel sehen, und ihrer Schwestern Wort lasse die Lippen verstummen. Hier schreibt er, unter der großen Bühne Roms könnten wir Schlag Mitternacht sein Spiel bewundern.“
„Was meint er? Was bedeutet das?“
Julien sah sich um. Sein Nacken kribbelte vor Anspannung, und er glaubte beinahe, das Surren todbringender Pfeile zu hören. Er hätte es wissen müssen. Nun half es wenig, dass Lamar sich irgendwo ganz in der Nähe aufhielt. Sie würden ihren Feind hier nicht treffen, denn der Brief zeigte, dass sein Spiel gerade erst begann.
Er rieb sich die Schläfen und biss die Zähne zusammen. Noch einmal überflog er die wenigen Zeilen.
„ Den Weg der Wahrheit beschreiten, der zu ihm führt – das ist sicher der spärliche Versuch zu sagen, dass wir ihn nur finden, wenn wir sein Rätsel lösen.“
„Ja, aber wie sollen wir das? Ich versteh nur Bahnhof, und was hat Alessa damit zutun?“
Julien ging nachdenklich auf und ab.
„Langsam, langsam. Alessa hat keine Schwestern …“
„Und sie kann auf keinen Fall sehen, also was soll der Scheiß?“
Julien griff Fays Arm und rannte aus der Vorhalle über die menschenleere Straße und den Weg zurück, den sie gekommen waren.
„Was ist? Was machst du? Nicht so schnell, Julien!“ Fay presste die Hand auf ihre Wunde. Sie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, aber in diesem Spiel lief die Zeit gegen sie.
„Wir müssen zurück zu Alessa. Sie muss wissen, was der Wanderer meint! Außerdem fürchte ich um ihre Sicherheit!“
Sie rannten über die Brücke, und Julien war froh über seine Weitsicht. Eigentlich hatte Cruz Lamar begleiten wollen, aber er hatte darauf bestanden, ihn im Notfall in seiner Nähe zu wissen.
Nun sah sie der kräftigste seiner Männer kommen und erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. Cruz startete den Motor und fuhr ihnen bis zur Absperrung entgegen.
„Beeil dich, steig ein!“, rief Julien Fay zu und drängte sich neben sie auf den Rücksitz. „Zu Alessa, schnell!“
Cruz nickte und gab Gas, sodass die Reifen quietschten und Fay hart gegen Julien geschleudert wurde, als Cruz die Kurve nahm.
„Was ist passiert?“, verlangte der zu erfahren, ohne seinen Blick von der Straße zu nehmen.
„Eine weitere Nachricht! Er schreibt, die blinde Frau könne den Schlüssel sehen, der uns zu ihm führt. Was immer er meint, muss sich in Alessas Nähe befinden.“
Cruz nickte und steuerte den Wagen an der nächsten Brücke über die Ponte Garibaldi , die sie auf die andere Tiberseite brachte. Der Weg von dort am Pantheon vorbei bis zu Alessas Häuschen war nicht weit. Aber da die Polizei den Süden Roms großflächig gesperrt hatte, herrschte Verkehrschaos.
„Verflucht! Hier ist alles dicht!“, schimpfte Cruz. „Wir kommen hier nicht weiter! Ihr seid vermutlich zu Fuß schneller“, schlug er vor und deutete auf die Blechlawine vor ihm, die sich nur im Schritttempo voranbewegte.
„Das dauert zu lange! Du musst wenden! Auf der anderen Seite des Flusses waren doch die Straßen frei!“
„Ich kann es versuchen!“
An der nächsten Ecke riss Cruz das Lenkrad herum, fuhr über den Gehweg und bog in eine einspurige Seitenstraße ein. Ein Fahrzeug kam ihnen entgegen und hupte, da Cruz in die falsche Richtung fuhr und es beinahe in eine Mülltonne gedrängt hatte.
Fay klammerte sich an der Rückenlehne des Beifahrersitzes fest.
Erneut donnerte der Wagen über eine Brücke, und tatsächlich herrschte auf der Uferallee der anderen Seite eine für Rom normale Verkehrsdichte. So wurden sie zwar auch hier immer wieder aufgehalten, kamen aber wenigstens etwas voran.
„Alessa verlässt seit Jahren kaum ihr Haus“, überlegte Julien, während sie den Windungen des Tibers folgten. „Wo oder wie sollte sie einen Schlüssel sehen können, den der Wanderer für sein krankes Spiel braucht?“
„Bezieht sich das Sehen vielleicht auf ihre Gabe?“, überlegte Cruz laut, ehe er einen Vespa-Fahrer durch eindringliches Hupen so erschreckte, dass dieser sofort zur Seite auswich.
„Welche Gabe?“, fragte Fay.
Julien hatte Mühe, seine Gedanken auf das Rätsel zu lenken. Er wünschte, Gabriel wäre hier, denn der hatte in jeder Lage immer einen ruhigen Kopf bewahren können. Ähnlich wie Arjen. Aber Gabriel war von einem Rubinpfeil getötet worden, und Arjen war zusammen mit Louis, Cecil und der Wahrheit nach Irland zurückgekehrt.
Warum hatte er nicht darauf bestanden, dass ihn mehr seiner
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