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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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Schritten zu ihrem Bücherregal. Meine Hände zitterten so stark, dass ich mich an einem der Bretter festhalten musste.
    »Ich hab Ihnen überhaupt nichts erzählt«, wollte ich schreien, aber ich brachte nur ein Flüstern heraus.
    »Doch, und sogar ziemlich viel«, sagte sie. Ich hörte, wie sie ihr Notizbuch wieder aufschlug. »Du hast mir von deiner Katze erzählt, die dein Vater, kurze Zeit nachdem deine Mutter euch verlassen hatte, mitgebracht hat, wahrscheinlich um dich zu trösten oder um dich etwas abzulenken, weil du dauernd nach deiner Mutter gefragt hast. Du hast erzählt, dass deine Katze instinktiv Eichhörnchen jagt, aber dann nicht weiß, was sie mit ihnen anfangen soll.«
    »Und?« Ich blitzte sie wütend an. »Was hat das mit irgendwas zu tun? Das ist nur irgendeine kleine Geschichte. Das bedeutet überhaupt nichts.«
    »Doch, Emily. Die Dinge, von denen wir erzählen, wenn wir vermeiden wollen, über etwas anderes zu reden, bedeuten sehr wohl etwas. Manchmal genauso viel.«
    »Was? Das ist doch lächerlich!« Mit geballten Fäusten machte ich unwillkürlich einen Schritt auf sie zu.
    Doktor Gilyard hob das Kinn und blickte mir direkt in die Augen. »Dir ist die Geschichte von deiner Katze eingefallen, weil du dich genauso verhalten hast. Du hast nicht gewusst, was du mit Juliet anfangen solltest. Du bist in der Geschichte Duck, und Juliet ist das Eichhörnchen.«
    Ich starrte sie einen Moment an, dann drehte ich mich wieder zum Regal um. Ich brauchte dort Schutz. Mein Blick glitt über die Buchrücken. »Warum tun Sie mir das an?«
    »Warum tust du dir das an, Emily?«
    Auf jede Frage immer nur eine Gegenfrage.

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    D onnerstag. Pochierte Eier zum Frühstück. Ich hasse pochierte Eier, deshalb hat Naomi meines gegessen. Und das von Lily. Und das von Val.
    »Magst du deins auch nicht?«, fragte sie das neue Mädchen, das gestern Abend eingeliefert worden sein musste, als wir alle schon im Bett waren.
    Bis dahin hatte noch keine von uns ein Wort mit ihr gesprochen, aber das ist völlig normal. In unserer Abteilung gibt es nur fünfzehn Betten, was bei Weitem nicht ausreicht. Schließlich sind siebenhundert Mädchen hier in Archway, und jede von ihnen muss auf die eine oder andere Weise ein Problem haben, sonst hätte sie nicht getan, was sie getan hat.
    Wir sehnen uns alle wie wild nach irgendwas. Trauern um jemanden.
    Aber siebenhundert Mädchen für fünfzehn Betten, das ist eindeutig zu viel. Deshalb ist unsere Abteilung eher so etwas wie eine Krankenstation oder eine Ausnüchterungszelle: Die Mädchen kommen hierher, schreien, schlagen um sich und weinen, dann schlafen sie ein, und wenn sie aufwachen, werden sie in das Hauptgebäude zurückgebracht. Deshalb ist bei uns auch alles so angeordnet, wie es ist: fünfzehn Einzelzellen, zehn im Erdgeschoss und fünf im ersten Stock, alle zum Schwesternzimmer hin ausgerichtet. Im Hauptgebäude essen sie an Tischen im Flur dazwischen, aber wir haben dafür einen Extraraum, neben Doktor Gilyards Büro. Falls eine von uns ausrastet, können sie uns dort schnell einsperren, bis ihr Anfall vorüber ist.
    Die zehn Zellen im Erdgeschoss sind für die Mädchen, die nur vorübergehend hier eingeliefert werden. Außerdem gibt es noch zwei Zellen mit verglasten Türen für diejenigen von uns, die akut selbstmordgefährdet sind. Dort war Lily zunächst untergebracht, als sie letzten Monat zu uns kam. Naomi und ich beobachteten sie fasziniert. Die meisten Mädchen, die wegen akuter Selbstmordgefährdung zu uns kommen, sind so mit Medikamenten vollgedröhnt, dass sie nur apathisch herumsitzen. Aber Lily flatterte die ganze Zeit in der Zelle hin und her, von einer Wand zur anderen, von einer Ecke zur anderen, wie ein gefangener Schmetterling.
    Es war irgendwie ein schöner Anblick, fanden wir.
    Weil du dieses Heft aufgestöbert hast, musst du wie ich zu denen im ersten Stock gehören. Böses Mädchen. Im Augenblick gibt es da mich, Naomi, Val, Reta und eine Soziopathin namens Ruth, die wir in letzter Zeit nicht viel zu Gesicht bekommen haben, weil sie für ihre Gerichtsverhandlung dauernd zwischen dem Old Bailey und hier hin- und hertransportiert wird. Wir sind die Lebenslänglichen. Wir gehen nirgendwo anders mehr hin. Wir sind zwar alle noch in Untersuchungshaft, aber nach der Verurteilung kommen wir wieder hierher zurück, weil Archway die einzige Jugendstrafanstalt in London mit einer psychiatrischen Abteilung ist. Von uns geht eine ständige

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