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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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die Teelache auf dem Tisch in meine Richtung wischte. »Wälder sind total sicher. Vor allem die in deinem Kopf.«
    »Warum willst du überhaupt wissen, was für uns die Orte sind, an denen wir uns glücklich fühlen?«, fragte ich, griff nach einer Papierserviette und wischte die Teelache wieder in Naomis Richtung.
    »Doktor G hat mich in meiner Sitzung gestern danach gefragt, und mir ist keiner eingefallen. Brauch ich denn einen? Darüber muss ich jetzt andauernd nachdenken. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen.«
    »Hast du denn einen Glücksort, Val?«, fragte ich spöttisch, aber in mir brodelte es.
     
    Als ich am Nachmittag meine wöchentliche Sitzung bei Doktor Gilyard hatte, platzte es aus mir heraus.
    »Das ist total unfair!«, rief ich. »Mich wollen Sie dazu zwingen, über Juliet und meinen Vater und Onkel Alex zu reden und über –« Ich konnte den Namen nicht aussprechen, deshalb holte ich einmal tief Luft, während mir das Herz bis zum Hals klopfte. »Und mit Naomi reden Sie über ihren Glücksort? Warum reden wir nicht über so etwas?«
    Sie nickte. »Würdest du denn gern über deinen Glücksort mit mir reden, Emily?«
    »Nein.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Hast du einen Ort, an dem du glücklich bist, Emily?«
    Ich schwieg. Nach der Erfahrung vom letzten Mal wollte ich lieber nichts mehr von mir preisgeben.
    »Ist dieser Ort das Cottage in Brighton, Emily?«, fragte Doktor Gilyard, und für einen Augenblick hörte mein Herz zu schlagen auf.
    Die Frau ist eine Hexe.

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    F ür den Rest des Tages geben sie mir heute keine Zigaretten mehr, weil ich am Nachmittag in der Kunsttherapie zu einer der Pflegerinnen gesagt habe, dass sie sich verpissen soll. Wir wollten eine Karte für Val basteln, die morgen ihre Verhandlung hat und wohl nicht mehr zu uns zurückkehren wird. Naomi hat zufällig mitgekriegt, wie Doktor Gilyard sagte, Val solle entlassen werden und man plane, sie nun allmählich wieder an das Leben »draußen« zu gewöhnen – viel Glück, kann ich da nur sagen, denn mir kam Val immer noch reichlich durchgeknallt vor.
    Ich hatte nichts dagegen, für Val eine Karte zu basteln. Aber als die Pflegerinnen mir dann mit einer Kinderschere und Glitzersternen angekommen sind, habe ich etwas die Nerven verloren. Deshalb der Nikotinentzug. (Wahrscheinlich geben sie uns die Kinderscheren nur, um uns die Zigaretten verbieten zu können, denke ich mir im Nachhinein.) Lily hat mich nach dem Abendessen ihre Zigarette rauchen lassen, allerdings musste ich dafür im Gegenzug jede Menge Fragen von ihr beantworten.
    »Wie war es denn im College? War es schön dort?«, fragte sie neugierig. »Wenn ich hier rauskomme, will ich nämlich auch aufs College.«
    Ich lachte. »Es war ein übles Loch.«
    Mir wäre lieber, ich wüsste ein netteres Wort, um das College of North London zu beschreiben. Aber die Schule war einfach so, echt übel. Kein Vergleich mit meiner alten Schule, dem vornehmen St. Jude’s College, mit seinem lang gestreckten, efeuüberwucherten Bau, vor dem sich auf dem Rasen eine Sonnenuhr befand und am Eingang zur Bibliothek eine Statue von St. Jude mit glatt polierter Fußspitze, weil es angeblich Glück brachte, sie zu berühren. Es ist eine gute Schule. Eine kleine Schule. Vierhundert Mädchen schlafen dort unter dem steilen Schieferdach, und alle bemühen sich, so zu tun, als ob sie kein Heimweh haben, trotz der Fotos, die in jedem Zimmer neben den Betten an die Wände geklebt waren.
    Das College of North London dagegen ist ein Monster. Ein breites, niedriges Gebäude, das sich mitten an der Hauptstraße breitgemacht hat. In seiner Glasfront spiegeln sich die vorbeifahrenden Busse und Autos wie verwischte Farbschmierer. Es gibt dort keine Bäume, keinen Rasen, keine alten Rosensträucher wie in St. Jude’s. Nur einen Parkplatz, einen Geldautomaten und ein paar verwitterte Bänke mit absplitterndem Holz und bröckelnder Farbe.
    Lily wirkte niedergeschmettert. »So schlimm kann es doch nicht gewesen sein.«
    »Doch! Eines von diesen grauenhaften Gebäuden aus den 70 er-Jahren. So ähnlich wie hier.«
    Ich blickte auf die Wände ringsum, die die Farbe von ausgekautem Kaugummi haben, und auf die zerbrochenen Bodenfliesen und stellte fest, dass ich dieses eine Mal nicht schamlos übertrieb.
    »Und nichts hat funktioniert«, sagte ich. »Gar nichts. Die Aufzüge, die Toiletten, alles alt und grau und kaputt. Bis irgendetwas repariert wurde, vergingen Wochen.

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