Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
über Daisy Buchanan sagte, hast du ihn sofort angefahren. Wie passt das alles zusammen?«
»Vielleicht passiert das ja, wenn man zu viel Dworkin liest«, meinte ich nur.
»Hey«, sagte sie und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Humor als Selbstverteidigungsmittel ist meine Waffe. Du musst da schon was Eigenes finden.« Sie fuhr mit dem Zeigefinger vor meiner Nase hin und her. »Und zu viel Dworkin oder nicht, dein Englischlehrer behauptet, du seist witzig und eloquent, wenn auch vielleicht etwas respektlos ihm gegenüber. Aber dafür bist du ja schließlich sechzehn, in diesem Alter hat man keinen großen Respekt vor den Meinungen anderer Leute. Du weißt einfach über alles Bescheid, richtig?«
Ich hörte ihr Kichern, und wahrscheinlich wartete sie darauf, dass ich mitkicherte. Als ich das nicht tat, seufzte sie erneut. »Okay, Rose. Ich weiß, wie quälend das für dich ist. Ich kann das durchaus mitempfinden, glaub mir. Am liebsten würde ich uns beiden das hier ersparen, einfach Schwamm drüber.« Sie gab wieder einen Seufzer von sich, diesmal tiefer. »Aber ich glaube, dass es dir guttun würde, mit jemandem zu reden. Deshalb führe ich jetzt auch dieses Gespräch mit dir. Du scheinst ziemlich intelligent zu sein, aber deine Lehrer sagen, dass du die meiste Zeit recht still und verschlossen bist, und außerdem hast du abgenommen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe.«
Das traf mich wie eine Ohrfeige. »Moment mal«, sagte ich und schaute sie über ihren unaufgeräumten Schreibtisch hinweg empört an, »das darf doch nicht wahr sein. Es gibt an diesem College achttausend Schüler. Achttausend. Letzte Woche stürmte einer mit einem Metzgermesser in die Schulkantine, und Sie zerren mich hier in Ihr Büro, weil ich ein paar Kilo abgenommen habe?«
»Ich zerre dich nicht in mein Büro, Rose. Ich freue mich, dass du da bist.«
»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich unwirsch. Ich wusste, dass es keinen wirklichen Grund dafür gab, aber ich spürte, wie sich mir vor Panik die Härchen aufrichteten.
»Ich will nichts von dir, Rose. Ich möchte nur sicher sein, dass es dir auch gut geht.«
»Es geht mir gut.«
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Ich wartete darauf, dass sie ranging, doch sie nahm nur kurz den Hörer ab und legte dann wieder auf. »Okay. Wie du meinst. Ich kann nur noch mal wiederholen: Ich weiß, dass du eine schwierige Zeit durchmachst, und kann bloß sagen, dass es hilft, darüber zu reden.«
»Ich hab Leute, mit denen ich darüber reden kann. Und Sie?«
Sie lachte und blickte mich dann mit einem kleinen, amüsierten Lächeln an. »Nicht wirklich. Meine beste Freundin hatte letzte Woche eine Fehlgeburt. Sie versucht seit Jahren, ein Kind zu bekommen, und es ist jetzt schon das dritte Mal, dass sie eine Fehlgeburt hat, deshalb ist sie völlig am Ende.« Sie sprach mehr zu sich selbst als zu mir. »Ich bräuchte sie so dringend, um mit ihr über alles zu reden, über die Scheidung und den Verkauf unseres Hauses und den zwanzigminütigen Streit, den ich letzte Woche mit meinem Exmann wegen einer Vase hatte, die ich an die Wand geschmissen habe, sodass sie jetzt keiner von uns beiden haben kann.«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich kann nicht mit ihr reden, weil sie selber gerade die Hölle durchmacht und nun wirklich niemanden gebrauchen kann, der ihr wegen einer zerbrochenen Vase die Ohren volljammert. Manchmal ist das so, Rose, dass man über Dinge reden will, aber es nicht kann, weil die Freunde selber ihre Probleme haben – wirkliche Probleme, sehr schmerzhafte Dinge –, und man kann ihnen dann nicht mit den eigenen Angelegenheiten kommen, weil die so viel unwichtiger sind. Deshalb meine ich ja nur, dass –«
»Ich hab begriffen, was Sie mir sagen wollen«, unterbrach ich sie. »Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Sie glauben, dass ich nicht mit Nancy darüber reden kann, weil ihre Eltern gestorben sind, und meine haben sich nur scheiden lassen. Ich hab’s kapiert.« Ich hielt kurz inne. »Wenn ich darüber reden möchte, kann ich zu Ihnen kommen.«
»Komm damit bloß nicht zu mir!«, rief sie. »Ich kann dir nicht helfen. Schau mich doch bloß an!« Sie deutete auf ihre verklebten Locken. »Ich hab heute Morgen sogar vergessen, den Conditioner aus meinen Haaren zu waschen.«
Da musste ich losprusten. Grace Humm ist die einzige Person, die es jemals fertiggebracht hat, meine Wut innerhalb von dreißig Sekunden zu Gelächter verpuffen zu
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