Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
seufzte dabei auf. »Sie hatte seine Nummer, die wollten sie am College unbedingt haben, um im Notfall meinen ›Vater‹ erreichen zu können.«
»Was hat sie ihm mitgeteilt?«
»Dass sie sich Sorgen wegen meiner schulischen Leistungen machte. Dass ich stark abgenommen hätte.«
»Er muss sich auch Sorgen gemacht haben, sonst hätte er wegen dir nicht so viel riskiert.«
»Vermutlich.«
»Was hat er gesagt?«
Ich kicherte. »Er wusste nicht, dass ich mir die Haare gefärbt hatte, deshalb fing er erst mal damit an.«
Ich erinnere mich noch an den Blick, mit dem er mich musterte; wie er erst leicht verwirrt wirkte und dann wütend wurde.
»Er hat die roten Haare also nicht gemocht?«, fragte Doktor Gilyard, und ich kicherte erneut.
»Nicht wirklich.«
»Was hat er gesagt?«
»Er sagte, mein Vater würde einen Tobsuchtsanfall kriegen, wenn er das sähe.«
»Was hast du darauf geantwortet?«
»Ich habe ihn daran erinnert, dass mein Vater von mir ja keine Besuche im Gefängnis will, und bis er rauskäme, wären meine Haare grau.«
Doktor Gilyard nickte dazu. »Und was hat er dann gesagt?«
»Nichts.«
»Was hast du gesagt?«
»Auch nichts.« Ich ließ damals den Teekessel mit Wasser volllaufen, um meine Hände zu beschäftigen, und blickte aus dem Küchenfenster. Man konnte von dort die Sozialwohnungsbausiedlung, in der ich geboren war, in der Ferne sehen – drei Blocks von Hochhäusern, die nicht ganz bis zu den Wolken reichten –, und ich musste an Sid denken. Ich hatte ihn an dem Tag während des Soziologiekurses SOLL ’S DAS GEWESEN SEIN ? in eine Ecke seines Collegehefts schreiben sehen und hatte es mich daraufhin selber den ganzen Tag gefragt.
»Habt ihr danach über alles geredet?«
»Mmmmjein.« Sie wartete darauf, dass ich fortfuhr. »Er erklärte mir, dass er von alldem die Nase voll habe, dass er nicht wüsste, warum ich mich unbedingt mit Juliet anfreunden wolle. Das gehe jetzt schon zwei Monate so, und er wisse nicht, wozu das Ganze, und deshalb solle ich jetzt nach Hause kommen.«
»Was hast du darauf geantwortet?«
»Ich sagte ihm, dass ich kein Zuhause hätte und mein Leben die Schule sei.«
Doktor Gilyard notierte das. »Was hat er darauf gesagt?«
Ich seufzte. »Dass er mir die Kreditkarten sperren und die Wohnung nicht mehr zahlen würde.«
»Wie hast du reagiert?«
»Ich erwiderte, dann würde ich mir eben einen Job suchen.«
»Und wie war seine Reaktion darauf?«
»Er lachte. Er sagte, dass ich mit einem Job bei Starbucks noch nicht mal meine Leidenschaft für Sushi finanzieren könne, geschweige denn meine Wohnung zahlen, deshalb sollte ich besser gleich mit ihm kommen.«
»Und du?«
»Ich hab ihn einfach ignoriert.«
Ich wusste, wie sehr er es hasste, wenn ich ihn ignorierte. Aber ich war so wahnsinnig wütend. Deshalb wartete ich darauf, dass das Wasser kochte, und machte dann Tee, obwohl ich wusste, dass ich keine Milch mehr hatte und weder mein Onkel noch ich ihn gern schwarz tranken. Ich machte den Tee trotzdem und schenkte zwei Tassen ein. Das Porzellan klirrte, als ich in seine zwei Stück Zucker rührte.
Ich reichte sie ihm, und er starrte sie an. »Ich mache mir Sorgen, Ems. Seit sie Harry verhaftet haben, hast du dich sehr stark verändert. Du hast angefangen zu trinken und auch zu rauchen, das weiß ich. Ich kann es an dir riechen.«
»Willst ausgerechnet du mir Ratschläge in richtigem Verhalten geben, Onkel Alex?«
Er ging nicht darauf ein. »Und du hast stark abgenommen.«
»Hat dir das meine Tutorin gesagt?«, fragte ich und drehte mich dann zur Küchentheke, um mir meine Tasse zu nehmen.
»Nein. Ich hab selber Augen. Du bist so unglaublich dünn, Ems.«
Ich ignorierte ihn weiter und blies auf meinen Tee. Aber er ließ einfach nicht locker, und ich fühlte mich, als würde er mir mit seinen Fragen zwischen die Rippen stechen. »Du wirkst erschöpft. Schläfst du genug?«
Ich nahm einen Schluck von meinem Tee. Er war zu heiß und schmeckte bitter. »Es geht mir gut«, sagte ich. »Alles in Ordnung.«
»Nein«, sagte er, »nichts ist in Ordnung.« Ich hörte, wie er sich von hinten näherte, und mein ganzer Körper spannte sich an. »Was treibt dich, Ems, dass du auf dasselbe College wie sie gehen und unbedingt ihre Freundin sein willst? Und jetzt bist du auch noch regelmäßig zum Abendessen bei ihren Pflegeeltern? Lass das, Ems! Das ist nicht richtig. Warum tust du dir das an? Das muss dich doch umbringen.«
Ich ging zur Küchenspüle und
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