Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
nicht mal den Namen weiß. Deshalb habe ich meine Muffins auch mit F***-Wörtern geschmückt, was vielleicht keine emotional sehr reife Reaktion ist, aber trotzdem. Ich hab mir vor Lachen fast in die Hose gemacht, als die Kunsttherapieleiterin das dann zu DOKTOR GILYARD LIEBT VÖGEL abgeändert hat.
Naomi hat sich meiner schließlich erbarmt und im Austausch gegen eine weitere Geschichte über Rose nach dem Abendessen ihre Zigarette mit mir geteilt. Ich weiß, dass sie mich nur gnadenlos wegen Sid aufziehen wollte. Aber das war mir egal. Ich brauchte unbedingt eine Zigarette. Deshalb hab ich ihr die Story von Halloween letztes Jahr erzählt.
Die Mädchen in St. Jude’s schienen in ihrem Leben nur von einem Martini-Melodrama zum nächsten zu taumeln. Ich hatte bereits alles erlebt, was auf Partys an Beziehungsdynamik so ablaufen kann. Mädchen, die Mädchen ohrfeigen. Jungs, die Jungs verprügeln. Einmal war ich sogar dabei, als ein Mädchen mit einem Kricketschläger auf einen alten Aston Martin los ist.
Mein Vater wäre in Tränen ausgebrochen.
Damals in St. Jude’s dachte ich noch, das läge einfach nur an ihnen. Gib den verwöhnten Gören ein paar Flaschen Veuve Clicquot, misch die ganzen Hormone rein, und sie drehen komplett durch, dachte ich. Aber die Partys in London waren auch nicht viel anders. Okay, die Häuser, in denen wir gefeiert haben, waren kleiner, und wir haben literweise lauwarmen Cider statt Tequila-Shots in uns reingekippt, aber beim Liebesdrama sind alle Menschen Brüder und Schwestern.
»Lass mich mal ran!«, hörte ich jemanden auf Simone Campbells Halloween-Party brüllen. Ich tanzte gerade mit Juliet, guckte auf und sah, wie ein Junge den DJ wegstieß.
»Hört mal alle her!«, brüllte er.
Die Musik brach so abrupt ab, dass im Wohnzimmer von Simones Eltern alle zu ihm hinblickten. Es war eine seltsame Mischung. Simone hatte nicht darauf bestanden, dass alle verkleidet kommen mussten. Deshalb hatten sich fast alle Jungs in ihre normale Samstagabendkluft geworfen, während alle Mädchen sich als sexy Hexen austobten.
»Ihr habt doch schon von der Hure von Babylon gehört, oder?«, brüllte der Junge, und alle schauten sich verwirrt an. Die Gespräche hörten mitten im Satz auf. Marilyn Monroe und Elvis unterbrachen ihren Kuss. Ich blickte mit hochgezogener Augenbraue zu Juliet. Sie blickte ebenso zurück.
Als er keine Antwort bekam, schnappte er sich das Mikro vom DJ und fragte uns noch einmal.
»Und weiter?!«, hörte ich jemanden zurückrufen.
Der Junge nickte langsam und hob die Hand, als wolle er zu einer Predigt ansetzen. »Und weiter? Ashley Hensman ist die Hure von Basildon!«
Ich hatte keine Ahnung, wer Ashley Hensman war, aber ich hielt die Luft an. Juliet auch. Plötzlich regte sich in einer Ecke des Wohnzimmers etwas. Ein Mädchen tauchte wie aus dem Nirgendwo auf, ragte über den Köpfen empor, als würde sie schweben. Weil sie als Engel verkleidet war, wurde die Szene noch unwirklicher. Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Jungen.
»Du bist ein Arschloch, Jason!«, schrie sie.
»Und du bist eine Hure!«, wiederholte er noch einmal, falls irgendjemand im Raum das noch nicht mitbekommen haben sollte.
Das Gedränge wurde größer, weil alle wissen wollten, was los war, und man hörte Leute aus dem Flur rufen und fragen. Ein Mädchen mit einer lila Perücke stieß mich fast um, als sie sich an Juliet und mir vorbeizwängte, um einen besseren Blick zu haben. Ich schimpfte ihr etwas hinterher, wurde dann aber durch Ashley abgelenkt, die allen im Raum zu erzählen begann – und zwar bis ins kleinste Detail –, was für ein Versager Jason im Bett war. (Das gebe ich hier jetzt nicht wieder, Jason war so schon gedemütigt genug. Nur so viel: Es reichte aus, um mich den Rest meines Ciders über meine Schuhe schütten zu lassen.)
Alle im Wohnzimmer von Simones Eltern hielten den Atem an – gespannt, was Jason wohl erwidern würde, und als er daraufhin einfach nur das Mikro fallen ließ und hinausstürmte, ging ein Seufzer durch die Menge.
»Kleine Enttäuschung, was?«, sagte ich. »Aber wart’s mal ab, bis er sein Gewehr geholt hat.« Ich blickte auf meine nassen Schuhe. »Ich brauch noch was zu trinken.«
Musik dröhnte wieder aus den Lautsprechern. Juliet beugte sich zu mir. »Kannst du mir auch was mitbringen?«
»Was willst du denn?«
»Egal.«
Wegen des Liebesdramas war das Wohnzimmer brechend voll, deshalb brauchte ich eine Weile, bis ich mich zur
Weitere Kostenlose Bücher