Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
innerlich entspannen und wieder gelassener an meinen Texten schreiben. Wenn ich unterwegs war, um meine Besorgungen zu machen, beobachtete ich mit Verwunderung die Hast der anderen Menschen, die wie ich die Straße entlangliefen. Mir fiel eine Frau auf, die Fahrrad fuhr und gleichzeitig telefonierte. Sie war schlank und gut gebaut, trug eine Jeans mit Freizeitjacke und war offenbar auf dem Weg zum Spielplatz. Vor ihrem Lenker hockte ein Einjähriger im Kindersitz, und rechts von ihr balancierten zwei wenig ältere Kinder mit dick gepolsterten Helmen ihre knallbunten Räder den Bürgersteig entlang. Die Ampel schaltete auf Rot, und die Frau brachte ihr schweres Gefährt nur mühsam zum Stehen. Der Kindersitz mit dem Einjährigen schwankte bedrohlich. Warum, fragte ich mich unwillkürlich, muss die Person gerade jetzt telefonieren?
Wer Multitasking bewusst vermeidet und sich gegen Informationen oder Bilder wehrt, die einen gleichzeitig und überall ereilen, verpasst wahrscheinlich nie wieder einen Termin. Hätte ich an jenem Tag damals, an dem mich die Nachricht vom Bezirksamt ereilte, den Brief beiseitegelegt und weiter entspannt an meinem Text gearbeitet, hätte ich die Verabredung mit meiner Freundin sicher nicht vergessen. Ich hätte ja später mit Anna darüber sprechen können. Sie hat auch Kinder, letzten Sommer ist sogar noch ein drittes hinzugekommen. Sie weiß genau, wie es einen durcheinanderbringt, wenn einem als berufstätiger Mutter der Hort- oder gar Kindergartenplatz nicht genehmigt wird. Wahrscheinlich hätte sie sogar einen Tipp parat gehabt, wie man am besten dagegen vorgeht.
|96| Ein Spruch, den die Homöopathin meiner Kinder oft zitierte, wenn ich abgehetzt ihre Praxis erreichte, heißt: Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg. Früher habe ich das nie verstanden, doch allmählich begreife ich, was sie damit meint. Wer sich bemüht, langsamer zu werden, kommt nicht mehr zu spät, denn er hat dazu gar keine Zeit. Er möchte ja um Himmels willen nicht hetzen. Wer eilig ist, glaubt immer, er könne noch dies und das dazwischenschieben und käme trotzdem rechtzeitig ans Ziel. Wenn er merkt, dass er zu spät dran ist, regt er sich auf und beginnt, Fehler zu machen. Er ist nicht mehr konzentriert bei der Sache. Macht er einen Umweg, wird ihm bewusst, dass er sein Ziel sowieso nicht mehr pünktlich erreichen wird. Das wirkt derart beruhigend, dass er am Ende, wenn auch nicht rechtzeitig, so doch entspannt und guter Dinge ankommt.
|97| 5. VON SECHZIG AUF FÜNFZIG:
KOMMUNIKATION
Betroffen von der Beschleunigungsmaschinerie ist insbesondere der zwischenmenschliche Umgang, vor allem unsere Kommunikation. Hier gilt ganz offensichtlich die Devise: Wer schneller spricht, ist früher fertig. Ausreden lassen gilt nicht. Ich spreche bewusst weniger, rede langsamer und höre wieder mehr zu.
|99| Neulich war ich mit einer Freundin im Café. Wir hatten uns lange nicht gesehen, sie hatte viel zu berichten, aber auch bei mir war einiges passiert. Meine Freundin redete wie ein Wasserfall, und ich kam einfach nicht dazwischen.
Aber das machte mir gar nichts aus. Draußen war schönes Wetter, das Café befindet sich am Rande eines belebten Platzes, und wir saßen im Freien. Ich trank meinen Latte Macchiato, hörte ihr zu und schaute dabei nach den Straßenhändlern, die hier ihren selbstgemachten Schmuck feilbieten. Da die Sonne schien, waren einige Menschen unterwegs. Sie schlenderten genüsslich von Stand zu Stand, betrachteten die bunten Bänder, Silberringe und fein gefertigten Ohrringe. Es war für mich wie eine Art Meditation, als hätte ich unverhofft Ferien und sei nach Italien gereist.
Meine Freundin redete derweil ununterbrochen weiter, aber ich war mir des außergewöhnlichen Augenblickes bewusst. Ich spürte, wie angenehm es sein kann, mit einem Menschen zu kommunizieren, ohne selbst die ganze Zeit reden zu müssen.
Ich habe mich mehr aufs Zuhören verlegt. Früher hatte ich das Bedürfnis zu reagieren, wenn jemand auf mich einredete, hatte die Angewohnheit, spontan zu erwidern, wenn mein Partner ausgesprochen hatte. Auch kommentierte ich unentwegt die Rede des anderen und flocht eigene Bemerkungen ein. Das hatte dazu geführt, dass wir nicht mehr abwechselnd, sondern oft gleichzeitig |100| sprachen. Ohne Punkt und Komma redeten wir aufeinander ein, wiederholten mehrfach denselben Satz oder nutzten lediglich neue Begriffe, um letztlich dasselbe noch einmal zu sagen. Im Ergebnis sprach so jeder für
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