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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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uns die neuen Medien anhalten, ist sowieso kompletter Wahnsinn. Schließlich bin ich keine Bereitschaftsärztin oder Sicherheitsbeamtin, die eigens dafür bezahlt wird. Ich bemühe mich, Arbeit und Freizeit wieder bewusst voneinander zu trennen.
    Es klingt merkwürdig, aber in einem Zeitalter, in dem es mehr Kommunikationsmittel gibt als je zuvor, sind wir in eine Situation geraten, die uns zwingt, uns vor |103| dem übermäßigen Einsatz dieser Mittel zu schützen. Anders ist sie nicht mehr kontrollierbar. Fast jeder von uns kennt den Charlie-Chaplin-Film
Modern Times
. Er entfaltet besondere Komik in der Sequenz, in der Chaplin nach der Arbeit auf die Straße tritt, die beiden Schraubenschlüssel, mit denen er in der Fabrik den ganzen Tag im Einsatz war, fest in beiden Händen, und sich über alles hermacht, was einer Mutter oder einem Schraubenkopf ähnelt. An allen möglichen und unmöglichen Objekten muss er sich mit einer kurzen Drehbewegung versuchen. Er kann einfach nicht aufhören zu arbeiten. Erst nachdem er sich an die Mantelknöpfe von Passanten und andere Kleidungsstücke herangemacht hat und wütend in die Flucht geschlagen wurde, kommt er zur Ruhe.
    Wir haben keinen, der uns ausbremst. Die technischen Mittel, die erfunden wurden, um uns die Arbeit zu erleichtern, sind derart multifunktional auch im Alltag und fernab unserer Arbeitsplätze einsetzbar, dass auf den ersten Blick gar nicht zu verstehen ist, warum man sie nicht auch dort benutzen sollte. Bekanntermaßen fällt es vielen Menschen sogar im Urlaub schwer, offline zu gehen und wenigstens dann eine Zeitlang unerreichbar zu sein. Sie müssen fortwährend mit den Fingerspitzen auf einer Tastatur herumtippen.
    Entsprechend hat sich unser Verhalten verändert. Die Hände halten nicht mehr still. Wir sind fahrig und unkonzentriert geworden, können uns die einfachsten Fakten oder Telefonnummern nicht mehr merken und haben dauernd mehrere Sachen gleichzeitig im Kopf. Wir legen uns nicht mehr auf einzelne Verabredungen fest, sondern sagen überall zu und entscheiden erst dann, zu welchem Fest wir gehen wollen, wenn es längst zu spät |104| ist, die anderen abzusagen. Der spielerische Fechtkampf ist zu einem Krieg an mehreren Fronten geworden. Wir stehen nicht in Konkurrenz zu den Maschinen, so blöd sind wir nicht. Wir rennen nicht mit einem Computer um die Wette. Aber wenn wir uns keine Ruhezonen einbauen, in denen die technischen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nicht greifen, verändern die Maschinen unser Verhalten und letztlich auch uns. Wir geraten in Kampfstimmung.
    Mit Vergnügen beobachte ich, dass ich, wenn ich montags oder sonntagabends wieder online gehe, bisweilen gar keine neuen E-Mails vorfinde. Zunehmend kommen weniger Anrufe und Nachrichten bei mir an. Ob meine Umgebung Rücksicht auf mein neues Vorhaben nimmt? Oder habe ich einige vielleicht schon damit angesteckt? Wer nicht prompt auf eine Nachricht reagiert, bekommt selbst keine schnellen Antworten mehr. Das hektische Pingpong der Rede und Gegenrede kommt allmählich zur Ruhe.
    Ich achtete auch darauf, nicht mehrere Kommunikationsmittel gleichzeitig zu benutzen. Der Zeitdruck, der dadurch entsteht, dass man während eines Telefonats auf dem Festnetz auch noch prüft, ob neue E-Mails eingegangen sind, und am liebsten gleichzeitig noch per Mobiltelefon eine SMS beantwortet, scheint mir inzwischen geradezu absurd.
    Das Problem an dieser Arbeitsweise, so konnte ich in der mehrfach zitierten Studie von Gloria Mark, Arbeitswissenschaftlerin von der University of California in Irvine, lesen, sind die Unterbrechungen. Den typischen Büroangestellten halten diese offenbar mehr von der Arbeit ab als alles andere. Mark beobachtete mit ihren Doktoranden |105| 24 Angestellte einer Unternehmensberatung für Finanzdienste, die in ihrem Job rund ein Dutzend Projekte gleichzeitig abwickeln müssen. Wie Ethnologen verfolgten sie die Analysten, Programmierer und Projektmanager. Drei Tage lang protokollierten sie jede Tätigkeit und jede Unterbrechung, vom Kaffeeholen über Anrufe bis zum Lesen der eintreffenden E-Mails.
    Das Ergebnis, so der Journalist Max Rauner in seinem Bericht über die Studie, konnte sich sehen lassen: »Nach 700 Stunden Beobachtungszeit lautete die erschütternde Bilanz: 57 Prozent aller Arbeiten werden nicht zu Ende geführt, sondern unterbrochen, die Hälfte davon durch äußere Faktoren wie E-Mails, klingelnde Telefone oder Kollegen, die andere Hälfte ohne erkennbaren

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