Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
einen sogenannten Plan B verlangen. So laden wir Freunde zu einem entspannten Picknick im Park ein, aber ich denke während der Vorbereitung schon Tage zuvor pausenlos darüber nach, wie das Fest eigentlich verlaufen soll, wenn das Wetter nicht mitspielt. Bei dieser Art von Multitasking bzw. »Multithinking« bricht einem buchstäblich der Kopf entzwei. »Wenn es regnet, machen wir die Revolution im Saal«, war Schrats lakonischer Kommentar zu dem Thema. Aber in welchem Saal, bitte schön, und müsste der nicht zumindest geschmückt werden und hinreichend Sitzmöglichkeiten und Tische bieten? Sollte er nicht geputzt, gerichtet und mit Besteck, Geschirr und Servietten ausgestatten sein? Vielleicht könnte man dort noch vorher eine Musikanlage installieren, damit wir anschließend noch tanzen können – wenn es regnet!
Ich plane insgeheim also zwei Feste, obwohl garantiert nur eines stattfinden wird. Und ich breche fast zusammen. Beide Feste sollen nämlich so schön werden, dass meine Gäste sie nie wieder vergessen, mindestens so eindrucksvoll wie die Sommerpartys auf den Bildern, die in der Frauenzeitschrift abgedruckt waren, in der ich bei meinem letzten Zahnarzttermin geblättert habe. Für das darin beschriebene Picknick waren karierte Decken ausgebreitet worden, die mit dem Muster der Servietten |88| korrespondierten. Auf der Käseplatte flatterten lustige Fähnchen in Rot-Weiß, Farben, die gewissermaßen auch zu dem Karo passten. Vielleicht sollte ich zusätzlich zu den Decken, Servietten und Lebensmitteln, die Schrat schon besorgt hatte, noch loslaufen und Papiergirlanden in solchen Tönen kaufen. Falls es regnet.
Der Festtag bricht an, die Sonne scheint, wir sitzen stundenlang im Park, reden, amüsieren uns, die Kinder vergnügen sich auf dem nahen Spielplatz, und alle sind bester Laune. Abends bin ich vollkommen erschöpft. Dabei hatten wir doch eigentlich ganz entspannt gefeiert. Aber meine doppelten Vorbereitungen hatten mich die letzte Kraft gekostet.
In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Gewerkschaft ver.di heißt es dazu: »Während einst komplette Zeitmuster für den Alltags- und Lebenslauf für alle nahezu gleich waren, ist jetzt vermehrt individuelles Zeitmanagement notwendig. Ein jeder hat eine Vielzahl von unterschiedlichen Handlungs- und Zeitanforderungen zeitlich auf die Reihe zu bringen und muss dabei ständig Zeitkonflikte lösen. Wir verfügen längst über Strategien, bei Zeitmangel unser Handeln zu beschleunigen. Eine solche Strategie ist: Wir nutzen Zeit intensiver, verdichten sie. (…) Eine andere Strategie: Wir verkürzen Pausen oder lassen sie ganz aus. Und nicht zuletzt: Wir tun mehreres gleichzeitig: etwa Kaffee trinken und auf der Straße gehen; Eisenbahn fahren und am Computer arbeiten.«
Die zitierte Studie geht zurück auf eine Diskussionsreihe zum Thema Zeitmanagement und Arbeitsmarkt. Sie verdeutlicht, wohin der allgemeine Leistungsdruck führt: »Wer das Tempo der Welt nicht mithält, gilt als Verlierer. Das Konzept des autonomen Individuums wird zur Falle |89| für die Einzelnen, weil Überforderung heute zunehmend nicht den gesellschaftlichen Bedingungen angelastet wird, sondern als individuelles Versagen gilt.«
Nun ist bekannt, dass schon die Erfindung von Fensterglas der Menschheit im 19. Jahrhundert nicht nur Verbesserung von Lebensqualität gebracht hat, sondern auch die mühsame Begleiterscheinung, dass man die Scheiben putzen musste. Auch Innovationen wie Staubsauger und Waschmaschinen brachten den Hausfrauen nicht nur Erleichterung. Sie führten zu einem erhöhten Bedarf an Sauberkeit und machten dadurch letztendlich mehr Arbeit, als Zeit einzusparen. Marshall McLuhan, der kanadische Philosoph und Medientheoretiker, der den Begriff des Globalen Dorfes geprägt hat, drückt es ironisch aus: »Mit dem Computer können viele Dinge schneller erledigt werden, die ohne Computer überhaupt nicht hätten erledigt werden müssen.«
Auch wenn wir heutzutage vielerlei gleichzeitig erledigen können, sollten wir es möglichst nicht tun. Ich arbeite meist schnell, weil ich hoffe, dass ich dann bald alles erledigt habe und rasch fertig bin. Wenn ich es damit allerdings übertreibe, bin ich anschließend so erschöpft, dass ich nur noch ins Bett sinken kann. Mir bleibt keine Zeit für entspannten Ausgleich und bewusste Erholung. Das macht unendlich müde. Zudem gerate ich durch mein hastiges Tun in eine Art Schaffenswahn, denn Arbeit hat nun einmal die
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