Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
nutzen. Manche gehen prinzipiell nicht mehr ans Telefon. Sie lassen den Anrufbeantworter laufen und rufen nur dann zurück, wenn es ihnen notwendig erscheint. Andere haben den Anrufbeantworter ganz abgeschafft. Sie prüfen maximal die Telefonnummern der Anrufer auf ihrem Display, wenn sie nach Hause kommen, und überlegen sich, ob und wen sie zurückrufen sollen.
Dritte wiederum beantworten praktisch nie eine Nachricht, die sie über E-Mail erhalten haben. Bis man eine Antwort von ihnen bekommt, kann es Wochen dauern. Es wirkt, als befänden sie sich auf einer einsamen Insel und hätten keinerlei Zugang zum Netz. Geht man jedoch auf ihre Facebook-Seite, merkt man, dass sie sehr wohl im Internet unterwegs sind. Mehrmals am Tag finden sich entsprechende Einträge. Über diese eine Kommunikationsplattform tauschen sie sich mit zahlreichen Freunden gleichzeitig aus. Das ist ihr persönlicher Kanal zum Rest der Welt, hier sind sie gut erreichbar. Wieder andere findet man am besten per SMS. Sie lesen die Kurz-Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon und geben prompt eine Antwort.
Da sich die Technik pausenlos weiterentwickelt und ständig neue Geräte hinzukommen, ist es nicht immer leicht herauszufinden, wie man seine Freunde – hat man eine Zeitlang nicht mit ihnen gesprochen – am besten erreichen kann. Noch schwieriger ist das bei Kollegen, Geschäftspartnern oder Fremden. Obwohl wir heute mannigfaltige technische Möglichkeiten haben, miteinander |109| zu kommunizieren, ist es schwierig, zu dem Einzelnen wirklich vorzudringen.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, in denen ich froh war, wenn ich überhaupt einen Telefonanschluss hatte. Das ist noch gar nicht so lange her. In meiner Studienstadt Heidelberg musste man in den achtziger Jahren sechs Wochen warten, bis man einen Festnetzanschluss bekam. Alle Verbindungen waren analog, wir bemühten uns, abends und nachts zu telefonieren, denn um diese Uhrzeit gab es billigere Tarife, und wenn es stark geregnet hatte, konnte es passieren, dass die Leitungen absoffen. Dann war im Telefonhörer nur mehr ein lautes Rauschen zu hören.
Auch in unserer Berliner Wohnung hatten wir bei unserem Einzug Ende der neunziger Jahre noch einen analogen Festnetzanschluss. Dann kam die Digitalisierung, und uns wurden für diesen privaten Hausanschluss, über den wir als Freiberufler auch die meisten beruflichen Gespräche führen, Modalitäten angeboten, mit deren Hilfe wir unsere Kommunikation beschleunigen konnten. Das Attraktivste an dem Angebot war, dass man uns in Aussicht stellte, ab sofort direkten Zugang zum Internet zu haben. Wir willigten also ein, bekamen einen ISDN-An schluss und konnten fortan gleichzeitig online gehen, telefonieren und mehrere Telefongespräche führen. Das war sensationell.
Wenige Jahre später meldete sich eine Mitarbeiterin unserer Telefonbetreibergesellschaft und verkündete, es gäbe inzwischen noch bessere Angebote. Gegen ein gewisses Aufgeld könnten wir unsere Kommunikation entschieden beschleunigen. Statt, sagen wir mal, 250 Einheiten die Sekunde könnten sie ab sofort 2500 Einheiten pro |110| Sekunde durch unsere Leitung jagen, wir bekämen dann wesentlich mehr Informationen als zuvor, und das für alle Nutzer des Anschlusses gleichzeitig. Wir überlegten nicht lange und nahmen das Angebot an. Die Neuheit wurde irgendwo installiert, im Netz, in unserem Kabel oder wer weiß wo, und ab sofort ging wirklich alles schneller: Bilder, Texte, Websites, ganze Videos kamen mühelos bei uns an. Selbst umfangreiche Datenmengen konnten wir jederzeit verschicken und herunterladen.
An das neue Tempo unserer Daten gewöhnten wir uns relativ rasch. Beim nächsten Anruf von der Betreibergesellschaft fanden wir es fast schon ein wenig langsam und waren durchaus einverstanden, es weiter zu beschleunigen. Der neue Tarif erschien uns im Vergleich zu den Annehmlichkeiten, die er mit sich brachte, marginal.
Diese Art Telefongespräche wiederholte sich. Irgendwann, wir hatten immer schnell alle Angebote angenommen, brach unser Internet zusammen. Wir hatten plötzlich keinen Zugang mehr zum Netz. Ich dachte, es läge vielleicht an den vielen Baustellen in unserem Viertel. Möglicherweise hatte ein Baggerfahrer das Kabel durchtrennt. Wir fuhren alle Geräte herunter und machten einen Neustart. Das, immerhin, gelang, doch in den nächsten Wochen brach das Netz noch häufiger zusammen. Hinzu kam, dass auch unsere Telefongespräche neuerdings gestört wurden. Entweder
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