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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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unser Gesprächspartner konnte uns plötzlich nicht mehr hören oder wir ihn nicht, oder die Verbindung brach gleich ganz ab. Regelmäßig musste ich Freunde, Verwandte oder auch Kollegen und Auftraggeber, mit denen ich gerade noch gesprochen hatte, neu anwählen, mich entschuldigen und um Verständnis bitten. Hatte ich das Gespräch wiederaufgenommen, brach |111| es unter Umständen bald wieder ab, und alles begann noch einmal.
    Ich fühlte mich unliebsam an die achtziger Jahre erinnert, als ich zu Zeiten von SolidarnoŚć und Kriegsrecht in Polen studierte und meine sämtlichen Telefongespräche vom Geheimdienst überwacht wurden. Auch damals wurde meine Verbindung oft urplötzlich gekappt, insbesondere wenn ich am Telefon erzählte, wie schlecht es den Polen gerade wieder ging.
    Schließlich wurde es uns zu bunt. Obwohl wir wie immer unter Zeitdruck standen und es überhaupt nicht unsere Art ist, riefen wir die Betreiber an und beschwerten uns. Und siehe da, wir waren im Recht. Unser Problem hatte weder mit dem Geheimdienst zu tun, noch lag es an einem wild gewordenen Baggerfahrer. Nach eingehender Prüfung wurden wir vielmehr beschieden, unser Datentransfer habe eine Geschwindigkeit erreicht, die jenseits der Kapazität unserer Leitung lag. Sowohl bei Telefongesprächen als auch im Internet – so erklärte man uns geduldig – spielte das sogenannte Grundgeräusch eine alles entscheidende Rolle. Es ist eine Art Mit-Laut, der jeglichen Datentransfer begleitet. Werden zu viele Daten gleichzeitig übermittelt, können sie nicht mehr einzeln von dem Grundgeräusch unterschieden und präzise weitergegeben werden. Man würde sie – im wahrsten Sinn des Wortes – nicht mehr verstehen. Die Verbindung würde dann automatisch unterbrochen.
    Wir hatten offenbar einem Tarif zugestimmt, den wir zwar bezahlen konnten, dessen Möglichkeiten allerdings jenseits eines gewöhnlichen ISDN-Anschlusses lagen. Anstatt uns über unsere Grenzen zu informieren, hatten uns die einzelnen Mitarbeiter des Betreibers nur die Kapazitäten |112| unseres Datentransfers vermittelt. Sie wollten uns den neuen Tarif verkaufen.
    Schleunigst machten wir die Vereinbarung rückgängig – nicht ohne uns wutschnaubend im Freundeskreis darob zu ereifern, wohin der stete Kampf um Wettbewerbsvorteile in der kapitalistischen Marktwirtschaft führen würde. Der Kunde werde grundsätzlich mangelhaft informiert. Er erfahre von Risiken und Nebenwirkungen immer erst, nachdem er bezahlt habe, und sei prinzipiell der Dümmste.
    Angesichts dieser anhaltenden Beschleunigungsversuche lobe ich mir Computerspiele wie
Bus-Simulator 2009
oder
Angeln 2010
. Sie simulieren akribisch das Berufsleben von Busfahrern, Landwirten oder U-Bahnführern und haben derzeit Hochkonjunktur. In grenzenloser Monotonie fährt ein Stadtbus schnurgerade durch einen säuberlichen Vorort. Die Häuser sind frisch gestrichen, die Vorgärten sauber gekämmt, die Bürgersteige aufgeräumt. Es gibt praktisch keinen Gegenverkehr. Aufgabe des Computerspielers ist es, in dem friedlichen Bus als Fahrer Platz zu nehmen und ordentlich die Haltestellen an der Strecke abzufahren. Er muss das Fahrzeug umsichtig an den Bordstein ran- und wieder weglenken, die Fahrgäste ein- und aussteigen lassen und sich vor allen Dingen an die Regeln des Straßenverkehrs halten. Abends nach der Schicht gilt es, den Bus wohlbehalten auf den Großparkplatz zurückzubringen.
    Fährt der Fahrer zu schnell, bekommt er einen Strafzettel. Hat er bei Regen vergessen, die Scheinwerfer einzuschalten: Strafzettel. Mangelhaftes Blinken, Zebrastreifen übersehen, Handzeichen vernachlässigt: Strafzettel, Strafzettel, Strafzettel. Häufen sich derlei Lapsus, muss er die |113| Busfahreruniform gleich ganz ausziehen. Die Lizenz wird ihm entzogen.
    Etwas Eintönigeres als dieses Spiel hätte sich kein Mensch ausdenken können, doch es erfreut sich immenser Beliebtheit – insbesondere bei deutschen Computerspielern. Wir brauchen alle ein wenig Ruhe.
    Wer genug vom Busfahren hat, kann auf andere Varianten umsteigen. Hektisch sind auch diese Spiele nicht. Der Gabelstaplerfahrer zum Beispiel hat dreißig Minuten Zeit, um acht Paletten aufeinanderzuschichten. Wem das immer noch zu aufregend ist, dem bleibt
Angeln 2010
. In diesem Spiel muss man weder reden noch denken, nur die Rute auswerfen und so lange warten, bis der Fisch angebissen hat. Im Hintergrund hört man plätschernde Musik.

|115| 6. VON FÜNFZIG AUF

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