Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
dabeizubleiben, hatten in ihren kleinen, weißen Sportanzügen mit den doppelt geknoteten Gürteln geduldig am Rande der Trainingsfläche zu knien und auszuharren, zu applaudieren, wenn ein Sprung gelungen war, nicht zu lachen, wenn eine Bewegung einmal vollkommen danebengegangen war, die Langeweile zu verbergen, das Gähnen zu verstecken, denn die Auszeichnungen gab es für alle erst ganz am Schluss. Dann nahmen die Kinder stramm nebeneinander in langer Reihe Aufstellung, der Meister trat persönlich an jeden Einzelnen heran, löste sorgfältig den Gurt, den er fest verschlungen um die Taille trug, und band ihm seine neue Farbe um. Den alten Gurt verschloss er feierlich zu einem festen Knoten und überreichte ihn seinem Zögling als Andenken.
Meine Kinder waren von der Chance, sich beweisen zu können, begeistert und verkündeten einhellig, dass sie antreten wollten. Mücke meinte sogar, der Geburtstag |136| würde ihr Glück. Also beschloss ich, mich nicht verrückt machen zu lassen, und schlug Mücke vor, Familien- und Kindergeburtstag zusammenzuziehen und alles zusammen am Freitag zu feiern. Schließlich war so eine Taekwondo-Prüfung eine eindrucksvolle Sache. Meine Tochter war zum Glück einverstanden, und es wurde ein voller Erfolg. Gebannt schauten Mückes Freundinnen bei den Prüfungen zu. Begeistert klatschten sie bei jedem Stück Holz, das in Stücke ging. Zwischendurch zog ich mit unseren kleinen Gästen in den Hof hinter dem Trainingsstudio, und wir veranstalteten Preisspiele. Alle waren glücklich und zufrieden. Murkel und Mücke bestanden beide die Prüfung, und feierlich band ihnen der Meister den neuen Gürtel um. Alle Anwesenden spendeten Beifall. Mückes Freundinnen applaudierten besonders laut. Zu guter Letzt gab es sogar ein ungeplantes Highlight: Die vielen Kinder, sämtliche Jugendliche, Erwachsene und der Meister sangen Mücke feierlich ein Geburtstagslied. Auf einmal sah es aus, als habe die ganze Veranstaltung allein zu Mückes Ehren stattgefunden. Ich hatte Tränen in den Augen.
Am nächsten Morgen wollten wir eigentlich in eine Ausstellung gehen. Eine langjährige Künstlerfreundin hatte uns zu ihrer Eröffnung um elf Uhr eingeladen. Außerdem war Biomarkt auf dem Potsdamer Platz, und die
Märkische Kiste
hatte ihre Kunden darauf aufmerksam gemacht, dass sie mit einem Stand vertreten sein würde. Neugierig, wie ich bin, wollte ich dorthin gehen und die Menschen, die hinter der schönen Idee stehen, persönlich kennenlernen. Das Foto, das in dem Faltblatt abgebildet war, zeigte eine fröhliche, mehrköpfige Familie in Gummistiefeln und grünen Latzhosen. Daneben |137| hockte ein zufrieden lächelnder Hütehund. Meinen Kindern hatte ich das Foto gezeigt. Murkel erwies sich mäßig interessiert, aber Mücke war begeistert: »Meinst du, sie bringen den Hund mit?«
Schon den ersten Termin verschliefen wir erfolgreich. Wir waren so erschöpft, dass sogar die Kinder bis in die Puppen schnorchelten. Als ich zum ersten Mal auf die Uhr sah, war es zehn. Ich schrak hoch, aber aus der zweiten Hälfte meines Bettes war nur ein unwilliges Grummeln zu hören: »Du willst doch nicht etwa jetzt zu dieser Ausstellung gehen, oder?« Ich kapitulierte sofort.
Dass wir auch den Biomarkt verpassten, ist mir im Nachhinein weniger verständlich. Es muss wohl am Wetter gelegen haben. Ein Blick aus dem Fenster, den ich (gefühlte) Stunden später – verträumt in Nachthemd und Bademantel mit einer Tasse heißem Tee in der Hand – riskierte, überzeugte mich davon, auch diesen Programmpunkt aufzugeben. Draußen regnete es Bindfäden. Mücke war ein wenig enttäuscht, aber ich konnte sie trösten. Den Hund hätte die
Märkische Kiste
bei solch einem Wetter bestimmt nicht dabeigehabt.
Vor einigen Wochen habe ich die Kinder von der Schule abgeholt. Murkel musste zum Orthopäden. Seine Füße waren gewachsen, er brauchte neue Einlagen. Die Praxis ist nicht weit, aber Murkels Lehrerin überzog ihre Stunde. Wir konnten nicht pünktlich beim Arzt sein. Trotzdem ließen wir uns Zeit. Wir schlenderten zu unseren Fahrrädern, schlossen die Riegel auf, setzen die Helme auf und machen uns auf den Weg. Wir hätten uns noch so hetzen können – wir wären sowieso zu spät gekommen. Dann muss der Arzt eben auf uns warten, dachte ich. Davon |138| geht die Welt auch nicht unter. Schule ging schließlich vor. Ich hätte schlecht ins Klassenzimmer stürmen und den Jungen herauszerren können, bevor der Unterricht zu Ende
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