Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
seiner Rede begonnen, da wurde Mücke unruhig, ich musste sie hin und her schaukeln, damit sie nicht zu weinen anfing, und verlor Murkel kurzzeitig aus den Augen. Als sich das Baby beruhigt hatte, sah ich mit Entsetzen, dass mein Sohn mit seinen knapp zwei Jahren auf das Podium geklettert war, mopsfidel in Shorts und Sandalen am äußersten Rand Platz genommen hatte und mit den Beinen baumelte. Während Schrat sich bemühte, lückenlos die Liste der Künstler abzuarbeiten und keinen, aber auch gar keinen der weltwichtigen Sponsoren zu vergessen, zerrte ihm Murkel vergnügt am Hosenbein. Ich versuchte, Murkel unauffällig zu mir zu locken, aber er beachtete mich gar nicht. Der Schweiß lief mir in Strömen über den Rücken. Es war die Hölle.
Da diese Lebensphase so schlecht überschaubar, ihr Ende nicht absehbar ist, werden einige Mütter oder Väter ungeduldig und versuchen gerade jetzt, auch aus finanziellen Gründen, in ihrem Beruf weiterzukommen. Sie arbeiten wie verrückt, machen Überstunden, stürzen sich in zeitraubende Nebenbeschäftigungen. Prompt folgen neue Herausforderungen. Bei Angestellten zeichnen sie sich durch Beförderungen und Jobangebote aus, bei Freiberuflern sind es prestigeträchtige Aufträge. Sie beanspruchen noch mehr Arbeitszeit und verstärken den |131| Druck. Eine Art Torschlusspanik setzt ein, besonders bei den Frauen, die keiner selbstverständlichen Weiterbeschäftigung nach der Babypause gewiss sein können. Sie müssen in dieser Zeit unendlich viel gleichzeitig leisten. Ausgerechnet diese Lebensphase wird deshalb im Fachjargon als sogenannte »Rushhour of life« bezeichnet. In der schon erwähnten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt es: »In dieser ›Rushhour of life‹ wird Zeit zur kostbarsten Ressource.« Ausgerechnet diese Spanne wird mit der Tageszeit verglichen, zu der die meisten Menschen und Fahrzeuge gleichzeitig auf der Straße sind und überall Eile, Zeitnot und Verkehrsstau herrschen.
Dabei könnte man gerade in Zeiten von Schwangerschaft und Stillen, im Zusammenleben mit Babys und kleinen Kindern so viel Ruhe gebrauchen. Wirtschaftliche Sorglosigkeit und ein gewisser Frieden sind in dieser Phase von geradezu existentieller Bedeutung. Sie sind sozusagen eine Grundvoraussetzung dafür, dass es einem gelingt, die Probleme, die naturgemäß im Umgang mit Kindern auftauchen, zufriedenstellend zu bewältigen. Denn eines steht fest: Auch diese Zeit ist nur ein Abschnitt des Lebens, sie geht vorüber, selbst wenn man das währenddessen kaum glauben kann. Wer in dieser Zeit unglücklich war, wer das Gefühl hat, ihm seien Fehler unterlaufen, wird das jahrelang bereuen.
Wohltuend ist es, der Studie entnehmen zu können, dass man diese Lebensphase trotz der extremen Herausforderungen als großes Glück wahrnehmen kann. Das hängt unter anderem davon ab, wie gut sich das Familienmit dem Berufsleben des Einzelnen vereinbaren lässt. Dabei zählt keineswegs allein die Tatsache, ob Vater und/ oder Mutter überhaupt einen Arbeitsplatz haben, sondern |132| die Stundenzahl, die vor Ort von dem Einzelnen erwartet wird: »Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass beschäftigte Eltern ihre Vereinbarkeitssituation und ihre Work-Life-Balance umso negativer beurteilen, je länger ihre tatsächlichen Arbeitszeiten sind.« Am glücklichsten sind offenbar die Arbeitnehmer mit Familie, die ein wenig länger arbeiten müssen als eine Teilzeitkraft. Am unglücklichsten sind Familieneltern, die beide, Vater und Mutter, in überlanger Vollzeit arbeiten. Die Erwartungen von Frauen unterscheiden sich dahin gehend kaum von denen der Männer: »Fast alle Väter wollen kürzer arbeiten, die Mütter (je nach Gruppe) verkürzen oder verlängern. Insgesamt jedoch bewegen sich Väter und Mütter nach ihren Wunscharbeitszeiten aufeinander zu. Je nach Arbeitszeit-Konstellation in der Familie streben die Väter eine Arbeitszeitdauer zwischen 32 und 38 Std./Woche an, die Mütter zwischen 22 und 29 Std./Woche. Im Durchschnitt aller abhängig beschäftigten Eltern möchten Väter 37 Std./ Woche und Mütter 26 Std./Woche arbeiten.«
Interessanterweise üben im Osten Deutschlands wesentlich mehr beschäftigte Eltern unter Bedingungen ihren Beruf aus, die der Kategorie überlange Vollzeit entsprechen, als im Westen: »Immerhin ein gutes Viertel aller Elternpaare (28 %) arbeitet mittlerweile in einer sogenannten egalitären Arbeitszeit-Konstellation, in welcher die Arbeitszeiten von Mutter und Vater etwa
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