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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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Säuglings vereinbar war, sondern die ich mir vor allem finanziell leisten konnte. Im örtlichen Gemeindezentrum wurde ein Yogakurs angeboten, der nur etwa vier Pfund im Monat kosten sollte. Der Preis entsprach einer Art freiwilliger Abgabe. Wer wollte, hätte auch mehr zahlen können. Für diesen Kurs trug ich mich ein, marschierte zum nächstmöglichen Zeitpunkt in das Zentrum und traf dort in |146| einer schmucklosen Garderobe auf eine Handvoll älterer Damen, die sich schon seit Ewigkeiten zu kennen schienen. Sie nannten sich gegenseitig beim Vornamen, also »Rose«, »Meg« oder »Ann«, oder auch nur mit einem »Dear« oder »Lovy« und redeten wild aufeinander ein. Gleichzeitig zwängten sie sich in enge Beinkleider, bei denen die Farbe Lila dominierte, um dann, bewaffnet mit einer Turnmatte und einem Handtuch, in einen Raum zu ziehen, der noch unattraktiver war als der vorhergehende. Das lag nicht nur an dem hässlichen Bodenbelag und den schweren, alten Heizkörpern, mehr bekleckst als gestrichen mit einem dunklen Grün, sondern auch daran, dass der Raum im Souterrain lag. Die Fenster waren schmale Schlitze, lagen direkt unter der Decke, und man konnte nur mit knapper Not ein wenig Himmel erkennen.
    Kaum hatten die Damen diesen Raum betreten, ebbten ihre Gespräche schlagartig ab, und alle folgten gehorsam den Übungen, die Yogalehrerin Mary ihnen abverlangte. Mary war wesentlich jünger als ihre Schülerinnen, doch immer noch deutlich älter als ich. Obwohl sich augenscheinlich keiner von uns besonders geschickt anstellte, wurden alle anderen mindestens einmal in der Stunde gelobt. Für mich hatte Mary nichts als ein mitleidiges Lächeln übrig. Ich hatte in der Tat nicht die geringste Ahnung, was ich zu tun hatte, verstand weder die Namen der Übungen, noch wusste ich, worauf es dabei ankam. Doch nun, im Schlepptau von Anna, würde das alles sicher viel besser laufen.
    Schon als wir in den Raum hineinkamen, war die Luft zum Schneiden. Die Fenster zu öffnen, um ein wenig zu lüften, verbietet sich bei Bikram-Yoga von selbst. Die Frauen, denn es waren ausnahmslos Frauen gekommen, |147| trugen fast alle enganliegende Zweiteiler, die den meisten auch ausgezeichnet standen. Sie schienen eigentlich nur hierhergekommen zu sein, weil sie zeigen wollten, was für eine gute Figur sie hatten. Ich kam mir dagegen in meinem weiten T-Shirt und den Leggings vollkommen deplatziert vor. Außerdem schwitzte ich schon, bevor der Unterricht überhaupt begonnen hatte. Doch jetzt hieß es erst einmal turnen: Garurasana, Dandayamana-Bibhaktapada-Paschimottanasana, Kapalbhati – und wie die Stellungen alle hießen. Ich schaute rechts, schaute links, schaute vor allem auf Anna, kopierte fleißig und machte brav mit. Neunzig Minuten dauerte der Kurs, 26 Übungen galt es zu bewältigen, und als die Zeit um war, waren alle vollkommen erledigt. Wir saßen auf unseren Matten, das Haar klebte am Kopf, das Herz hämmerte in den Ohren, und jede sog gierig an ihrer Trinkflasche. Ich konnte gar nicht so viel Wasser in mich aufnehmen, wie ich glaubte, verloren zu haben. Kaum eine Stellung hatte ich richtig hinbekommen, hatte mehrfach das Gleichgewicht verloren und war unrühmlich zu Boden gegangen, aber ich fühlte mich komplett durchtrainiert. Es war so, als sei ich von Kopf bis Fuß durchmassiert worden. Zufrieden schaute ich zu Anna. »Na, kommst du nächste Woche wieder mit?«, fragte sie mich.
    In der Tat war ich noch einige Male mit bei diesem Yogakurs. Auch merkte ich, wie ich allmählich biegsamer und beweglicher wurde. Doch der feste Termin erwies sich auf Dauer nicht als praktikabel für mein unruhiges Leben zwischen Familie und Lesereisen. Als ich Mücke an einem der Abende – Schrat war zu einem Ausstellungsprojekt unterwegs – offenbare, ich müsste zum Sport, beschwerte sie sich bitterlich: »Du kannst mich doch nicht |148| allein lassen.« Ich wies sie sanft darauf hin, dass Murkel doch auch noch da sei, aber das beruhigte sie keineswegs: »Ohne Eltern sein heißt allein sein!«
    Also ging ich wieder zu meinem altbekannten Kraftsport. Meine Yoga-Ambitionen müssen warten, bis meine Kinder alt genug geworden sind, um mich alleine ziehen zu lassen. Aber ich hatte beschlossen, wesentlich langsamer zu trainieren. Was für ein Unsinn mit diesem Zeit-Gewicht-Stress. Der sollte mir ab sofort den Buckel runterrutschen. Auch mit der Hektik, die sich gewohnheitsgemäß um den Sport herum entwickelte, musste es ein Ende haben. Ich

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