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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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gleich lang sind. Teilzeit-Kombinationen sind relativ selten; mehrheitlich arbeiten beide Eltern entweder Vollzeit (hier als Wochenarbeitszeit von 35 – 40 Std.) oder in überlanger Vollzeit (hier als Wochenarbeitszeit von mehr als 40 Std.). Solche Konstellationen gibt es in Ostdeutschland mehr als doppelt so häufig (58 %) wie in Westdeutschland (23 %).«
    |133| Ziel der Arbeitsmarktpolitik müsste es sein, das Angebot solchen Wunscharbeitszeiten anzugleichen. Stichworte sind dafür die allseits bekannten Begriffe Liberalisierung, Deregulierung und Flexibilisierung. Denkbar wäre auch ein Modell, das den Beschäftigten erlaubt, ihre Stundenzahl kurzfristig zu verändern, um sie ihrer familiären Lebenssituation anzupassen: »(Es) sollten neue Arbeitszeitstandards für Menschen mit Fürsorgearbeit entwickelt und eingeführt werden. Solche Care-Vollzeiten könnten z.B. zwischen 25 und 32 Std./Woche betragen.«
    Schließlich geht es nicht nur um unsere Kinder. Eine Arbeitsmarktsituation, die uns die Freude nimmt, Familien zu gründen, behindert einen auch, sich um die eigenen Eltern oder nahestehende Verwandte und Freunde zu kümmern, wenn sie alt und pflegebedürftig geworden sind.
    Die Zahlen und Fakten dieser Studie spiegelten präzise, was ich in meinen Gesprächen und Beobachtungen allerorten zu spüren bekommen hatte. Der Druck, der unter solchen beruflichen Bedingungen entsteht, und das Arbeitstempo, das von Berufstätigen erwartet wird, bestimmen generell das Klima. Sie sind die Motoren, die uns alle zur Eile antreiben. Gleichzeitig wirken sich genau diese Faktoren negativ auf unsere Stimmung aus. Es ist, als schiebe man mutterseelenallein eine riesengroße Kugel den Berg hinauf.
     
    Wenn man diese Umstände einmal durchschaut hat, ist es nicht schwer, sich dagegen zu wehren. Das zeigt mir die Geschichte mit Mückes Geburtstag. Alles hatte damit angefangen, dass wir beim wöchentlichen Sporttraining – Murkel und Mücke gehen regelmäßig zum Taekwondo – |134| überraschend mit dem nächsten Prüfungstermin der Kinder konfrontiert wurden. Nun sind die Prüfungen in dieser Sportart keine echte Leistungsschau. Der Prüfling muss zwar gewisse Fertigkeiten unter Beweis stellen, beispielsweise mit der Hand- oder Fußkante ein Holzbrett durchschlagen, aber der Gürtel, der ihm dafür verliehen wird, ist nur ein Zeichen dafür, dass er sich weiterentwickelt hat. Da man nie weiß, wann dieser neue Entwicklungsstand erreicht ist, kamen die Prüfungstermine immer überraschend. Allein der Meister hatte darüber zu befinden, wann seine Zöglinge eine entsprechende Reife erreicht hatten.
    Es war Dienstag, ich hatte die Kinder in aller Ruhe von der Schule abgeholt, und wir waren zum Training geradelt. Mücke hatte mir unterwegs strahlend erzählt, dass sie tatsächlich an ihre Flötenstunde gedacht hatte. Die Armbanduhr mit den aufgeklebten Zeigern aus Papier half letztendlich doch. Jetzt saßen wir in dem Trainingsstudio, und der Meister verkündete plötzlich, Murkel und Mücke könnten am kommenden Freitag zur Prüfung antreten. Bei Murkel ging es immerhin um den gelben Gurt.
    Normalerweise gingen wir freitags nicht zum Taekwondo. Der entscheidende Grund, warum ich an diesem Freitag keine Muße für eine Prüfung hatte, war allerdings ein anderer: Mücke hatte an dem Tag Geburtstag. Kaum ein Datum im Jahr eignet sich schlechter zur Teilnahme an einem Sportereignis wie dieses. Gerade Mücke ist ein Mensch, der wochen-, wenn nicht monatelang auf ihren Geburtstag zu lebt. Entsprechend wachsen die Vorfreude und Aufregung, wenn er näher rückt. Und wir Eltern wollen die Erwartungen des Kindes natürlich erfüllen. |135| Den dazugehörigen Kindergeburtstag hatten wir auf den Samstag gelegt. Mücke wollte mit ihren Freundinnen Schule spielen. Am Freitag hatten wir den Plan, ganz in Ruhe innerhalb der Familie zu feiern.
    Wenn bei Taekwondo geprüft wurde, war das ein riesiges Ereignis. Alle, aber auch alle Kinder, bei denen eine Veränderung anstand, wurden dazu eingeladen. Alle wurden gebeten mitzumachen, selbst Kinder anderer Sportschulen nebst ihren Lehrmeistern, und – das war das eigentlich Entsetzliche – alle mussten vom ersten bis zum letzten Prüfling mit dabeibleiben. Egal, wie viele Kinder antraten, egal, wie viele Versuche, das Brett zu durchtreten, der Meister jedem zugestand, egal, wie lange die Veranstaltung dauerte, wie spät es wurde – jeder, auch die Allerjüngsten, hatte bis zum Schluss

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