Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
war.
Früher habe ich es gehasst, wenn man auf mich warten musste. Ich habe mir vorgestellt, mein Auto oder Fahrrad könnte fliegen und alle Hindernisse mit einem einzigen Satz überwinden. Dabei bin ich wie eine Wahnsinnige durch den Kiez gerast, und das Herz hat mir bis zum Hals geklopft.
Das ist alles ganz anders geworden. Wie sehr ich dieses Gefühl genieße: Ich komme zu spät, aber ich hetze die Kinder nicht. Ich habe eben klare Prioritäten gesetzt. Schule ist wichtig, ärztliche Versorgung ist auch wichtig, aber in diesem Fall muss sich die eine Bedeutsamkeit der anderen unterordnen. Im Grunde ist es so einfach. Man muss nur danach leben.
|139| 7. VON VIERZIG AUF DREISSIG:
FREIZEIT
Der Geschwindigkeitswahn wird von den meisten ansatzlos ins Privatleben mit übernommen. Ob bei der Urlaubs- oder Freizeitplanung, in der Familie oder unter Freunden – Zeit ist permanent knapp. Ich beschließe, mein wöchentliches Sportprogramm insgesamt entspannter zu gestalten.
|141| Seit meine Kinder laufen können, treibe ich wieder regelmäßig Sport. Schließlich bin ich als Autorin eine typische Schreibtischtäterin. Um arbeiten zu können, muss ich aufrecht an einem Tisch sitzen, unter mir ein Stuhl und vor mir ein Tisch, auf dem ich meinen Laptop abstellen kann. Diese Arbeitshaltung ist nicht unbedingt gesund. Nacken, Rückgrat und Kniegelenke werden auf eine Art beansprucht, die, wenn diese Haltung täglich über Stunden und auch noch unter gewisser innerlicher Spannung aufrechterhalten wird, zu Verspannungen und Stauchungen führen kann. Das äußert sich in Rücken- oder Gelenkschmerzen. Derlei Beschwerden sind mir leider seit langem wohlbekannt. Abhilfe können hier nur regelmäßiger Sport und körperlicher Ausgleich schaffen.
Nun gibt es dazu mannigfaltige Möglichkeiten. Wohin man schaut, preisen Trainingsstudios und Vereine ihre Dienste an. Hinzu kommen Sportarten wie Bewegungstraining, Aerobic oder Yoga, die verstärkt auf Entspannung setzen. Wer sich dazu berufen fühlt, kann auch einfach Sportschuhe anziehen, vor die Tür gehen, regelmäßig laufen und für den Viertel-, Halb- und vollen Marathon trainieren. In Berlin bieten entsprechende Wettläufe, zu deren Zweck regelmäßig ganze Teile der Innenstadt gesperrt werden, großen Anreiz. Doch schon mein Zorn über derlei Absperrungen, die mich im Laufe der Jahre gezwungen haben, schon viele schöne Ausflüge und Besuche abzusagen, raubt mir dazu jegliche Motivation.
Ich habe mich also für Kraftsport entschieden. Das hat |142| rein praktische Gründe. Die Räume, in denen die Trainingsgeräte stehen, sind den ganzen Tag lang bis spät abends frei zugängig. In meinem unübersichtlichen Alltag zwischen Freiberuflichkeit, Lesereisen und Kinderpflichten ist das genau das Richtige für mich. Ich kann frei entscheiden, wann ich Sport treiben will. Selbst am Wochenende stehen mir die Räume fast ununterbrochen zur Verfügung.
Ferner gibt es beim Krafttraining einen individuell festgelegten Übungsablauf. Er orientiert sich entlang einer bestimmten Anzahl ausgewählter Trainingsgeräte, die ich allein und selbstbestimmt abarbeiten kann. Wenn ich Fragen habe, wende ich mich an einen der anwesenden Trainer, doch im Großen und Ganzen turne ich dort allein herum. Ich kann hingehen, wann und wie oft es mir passt, fange an, wann ich will, und bin, je nachdem wie lange ich mich an den einzelnen Geräten aufhalte, genau dann fertig, wenn ich mein persönliches Programm abgeschlossen habe.
Umso erstaunlicher ist es, dass mir selbst in diesem Kontext über die Jahre Stress und Zeitnot entstanden sind. Das liegt nicht zuletzt an dem Sportstudio, das ich besuche. Es vertritt das Konzept, dass prinzipiell zwei Parameter die eigene Leistungsfähigkeit bestimmen: Zeit und Kraft. Um das Gewicht seiner Wahl zu stemmen, hat man an jedem Gerät maximal zwei Minuten lang Zeit. Wer dazu nicht die Kraft hat, muss die Zahl der Kilogramm, die zu stemmen sind, reduzieren. Wer es mühelos schafft, sollte sie erhöhen. Zehn Geräte hat jeder Sportler abzuarbeiten – das macht maximal zwanzig Minuten Training. Zählt man die Zeit dazu, die man braucht, um sich das jeweilige Sportgerät einzustellen, das Gewicht |143| auf der individuell erstellten Karteikarte zu markieren, die Polster analog zur eigenen Körpergröße zu arretieren, Platz zu nehmen und sich gegebenenfalls anzuschnallen, kommt man auf etwa dreißig Minuten. Rechnet man noch das Umkleiden hinzu, braucht man
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