Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
Fußball spielten. Dabei war die Anlage eigens im Rahmen eines Sonderprogramms für Familien mit Kindern errichtet worden. In Solingen wurde Kindern gerichtlich gestattet, Besuch von ihren Schulfreunden im eigenen Hof zu empfangen und dort mit ihnen zu spielen. Auch Hausmeister mussten juristisch zur Räson gerufen werden. Sie dürfen Kinder nicht beschimpfen, sondern müssen sich mit ihrer Kritik ausdrücklich an die Eltern richten.
Diese mangelnde Akzeptanz von Kindern spiegelt sich auch im Berufsleben wider. Sie ist ein entscheidendes Hindernis bei der Familienplanung, und alle, die sich trotzdem dazu durchringen, eine Familie zu gründen und Eltern zu werden, können ein Lied davon singen. Veränderte Geschlechterrollen, flexiblere und mobilere |128| Erwerbsarbeit und risikoreichere Arbeitsmarktstrukturen haben unsere Umgebung gravierend verändert. Der gesamte Alltag ist komplexer geworden. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird zwar oft als Anspruch beteuert, doch der ist meilenweit von der Wirklichkeit entfernt. Bei dem Balanceakt des Einzelnen zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit stehen Männer und Frauen trotz neuer familienpolitischer Angebote weitestgehend allein da.
Gerade der Anfang dieser Lebensphase, in der die Familie noch wächst und entsteht, ist ausgesprochen anstrengend und kaum planbar. Sobald ein Kind geboren wird, entsteht eine Eigendynamik, die an sich schon Stress erzeugt. Man kann noch so gut darauf vorbereitet sein, der Alltag wird von heute auf morgen aus den Angeln gehoben. Ein Baby braucht in den ersten Lebensmonaten rund um die Uhr Zuwendung. Es gibt keinen Familienratgeber, der darauf nicht voller Hingabe verweist.
Auch die heranwachsenden Kinder benötigen Aufmerksamkeit und Sorge in einer Form und Dichte, die jenseits jeglicher Planbarkeit liegen. Haben sie einmal gelernt, die ganze Nacht durchzuschlafen, ist noch lange nicht die Phase der Kinderkrankheiten überstanden, geschweige denn all die kleineren und größeren Eigenheiten und Ansprüche überschaubar geworden, die jedes Kind hat. Jeder heranwachsende Mensch benötigt sein eigenes Quantum an Beobachtung und liebevoller Unterstützung. So ein Prozess dauert lang, man weiß nie, wie lang, und er ist per se kaum zu strukturieren. Routine lässt sich hier beim besten Willen nicht entwickeln.
Hinzu kommen die jeweiligen familiären Umstände, |129| die ähnlich schlecht planbar sind. Auf jedes neue Geschwisterkind reagieren Mutter und Vater anders. Jede Veränderung dieser Art bewirkt Umstellungen für eine ganze Gruppe von Menschen. Dabei liegt es in der Natur eines jeden Kindes, zumindest in den ersten Lebensjahren alles von seinen ersten Bezugspersonen einzufordern, was es von ihnen bekommen kann. Ein einzelnes Kind kann seinen Eltern genauso viel Sorge bereiten wie eine Schar von fünfen.
Arbeit gibt es damit genug. Die Förderung beginnt gleich in den ersten Lebensmonaten. Wer sich nicht konstant mit Erziehern, Ärzten und Lehrern austauscht, gilt als einfältig und verantwortungslos. Eltern und Familien haben es unter solchen Bedingungen nicht leicht. Gleichzeitig wächst der Druck, die neue Lebensweise wirtschaftlich und ideell in der Gegenwart zu verankern. Ich hatte in dieser Phase zwei anhaltende Sorgen: Mache ich bei der Fürsorge um die Kinder alles richtig? Und wie kann ich das Unterfangen finanzieren? Dabei war ich noch nicht einmal Alleinerziehende. Aber die Existenz musste gesichert sein, das Einkommen verdient, selbst wenn das eine Kleinkind gerade so hustet, als sei es kurz vor einer Lungenentzündung, und das andere Zähne bekommt und Tag und Nacht über Schmerzen klagt.
Solange man nur ein Kind hat und dieses noch klein ist, kann man es zu gewissen Veranstaltungen mitbringen, doch das ist spätestens dann vorbei, wenn – wie bei uns geschehen – in verhältnismäßig geringem Abstand ein zweites geboren wird. Mit Grauen erinnere ich mich an die Eröffnung von Schrats internationalem Ausstellungsprojekt
Produkt & Vision
in Berlin, das mit zahlreichen Künstlern prominent besetzt und darüber hinaus |130| von namhaften Geldgebern gefördert worden war. Am Tag der Eröffnung war es glutheiß, die Ausstellungshalle gestopft voll mit Menschen, und ich trug Mücke im Tragetuch, damit sie nicht schreit. Murkel hatte ich beschworen, unmittelbar in meiner Nähe zu bleiben und seinen Vater um Himmels willen nicht bei der Arbeit zu stören. Doch kaum hatte sich Schrat auf das Podium geschwungen und mit
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