Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
nahm mir vor, wenn die Zeit einmal knapp wurde, nur einmal pro Woche ins Studio zu gehen. Geruhsam radelte ich ins Studio, schloss seelenruhig mein Fahrrad ab, zog mich um, verstaute sorgfältig meine Kleider, zog mir meine Karteikarte aus dem Schubfach und machte mich ans Training. Bisweilen zog es sich jetzt ungeheuer in die Länge, manchmal dauerte es eine ganze Stunde, bis ich alle Geräte abgearbeitet hatte, aber in der Tat war wesentlich weniger Druck damit verbunden. Der Sport beherrschte nicht mehr mich, sondern umgekehrt.
Eines Tages sprach mich einer der Trainer an und fragte, ob ich irgendwelche Beschwerden hätte. Er habe beobachtet, dass ich sehr langsam trainieren würde. Ich verneinte freundlich, denn ich hatte keine Lust, ihm von meinem Selbstversuch zu erzählen, doch er ließ nicht locker und fragte, wann ich zum letzten Mal beim Arzt gewesen sei. Im Rahmen des Trainings habe schließlich jeder Kunde das Recht, in gewissen Abständen eine kostenlose Untersuchung und Beratungsstunde beim unternehmenseigenen Sportmediziner wahrzunehmen.
Nun, ich hatte diesen Service, um genau zu sein, noch |149| kein einziges Mal in Anspruch genommen. Das vermittelte ich dem wohlmeinenden Trainer, dankte ihm für die Informationen und bat, mein Programm ungestört fortsetzen zu dürfen. Als ich mich umziehen gehen wollte, hakte der gute Mann noch einmal nach. Ob ich nicht endlich auf das Angebot zurückgreifen wolle. Der Arzt sei heute im Haus und habe auch zufällig gerade Zeit. Ich trat einen halben Schritt zurück, sah ihn mir genau an und meinte: »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich brauche keinen Arzt. Ich bin weder krank, noch habe ich Beschwerden. Ich bewege mich lediglich ein wenig langsam. Das entspricht meiner Natur.«
|151| 8. VON DREISSIG AUF ZWANZIG:
GESUNDHEIT
Wenn man krank wurde, hieß es früher: Leg dich ins Bett! Heute wirft man Tabletten ein und versucht sich um jeden Preis auf den Beinen zu halten. Anstatt auf die Zeichen des Körpers zu reagieren und sich zu schonen, nehmen wir uns für Gesundung und Erholung keine Zeit. Wir kollabieren am eigenen Lebenstempo.
|153| Draußen war es kühler geworden, und ich hatte mir eine Erkältung eingefangen. Nase, Ohren, Kopf – alles tat mir gleichzeitig weh. Hinzu kamen Heiserkeit und unangenehme Halsschmerzen. Ich konnte kaum noch sprechen. Am schlimmsten war der Ärger, den ich darüber empfand. Es war jedes Jahr dasselbe. Kaum wurden die Tage ein wenig herbstlicher und die Temperaturen sanken, schon machte mein Körper nicht mehr mit. Dabei bemühe ich mich seit Jahren um Abhärtung, dusche jeden Tag heiß und kalt, trinke viel Wasser und Tee und gehe hin und wieder sogar in die Sauna, doch es half einfach nichts.
Verzweifelt kämpfte ich gegen die Erkältung an. Schon das morgendliche Aufstehen war eine Qual. Mit verstopfter Nase und tauben Ohren schlich ich ins Bad und zog mich an. Dann weckte ich so fröhlich wie möglich die Kinder. Während sie sich anzogen, kochte ich Tee und schmierte die Butterbrote. Dann galt es, Mäntel und Jacken anzuziehen und die Kinder in die Schule zu begleiten.
»Bleib doch zu Hause«, meinte Murkel. Ihm war aufgefallen, wie schlecht es mir ging. Er und Mücke würden das schon allein schaffen, fügte er hinzu. Sie seien schließlich schon groß. Aber ich winkte ab. Eine Mutter gibt nicht auf. Außerdem hatten wir kein Brot mehr im Haus. Auf dem Rückweg wollte ich beim Bäcker vorbeigehen und frische Brötchen besorgen.
Draußen blies ein scheußlich kalter Wind. Wir zogen |154| unsere Mützen tief in die Stirn und die Schals bis über die Nase. Mücke lachte, weil wir uns so dick vermummten. Wie die Eskimos würden wir aussehen, rief sie gegen den Wind. Ich mimte vergnügte Laune, nahm sie an die Hand, und gemeinsam zogen wir los.
Einen ganzen Tag lang versuchte ich gegenzuhalten, aber die Erkältung zog nicht ab. Der Schnupfen hatte sich in den Stirn- und Nebenhöhlen festgesetzt. Ich konnte nicht mehr klar denken. Schließlich gab ich auf, sagte alle Verabredungen ab und legte mich ins Bett. Schrat reagierte mit Verwunderung. Eine Erkältung sei ärgerlich, aber unsereins würde sich deshalb doch noch lange nicht für krank erklären. Freiberufler können sich das nicht leisten. Da müsse man sich wehren. Wer sich bei einer Erkältung ins Bett legt, würde erst richtig krank.
Ich kenne seinen Standpunkt. Meistens sind wir uns darin einig, aber diesmal wollte ich es anders versuchen. Wenn ich mich
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