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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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schon in Langsamkeit übe, kann ich gut versuchen, einmal mit Hilfe von Schonung und Selbstpflege wieder gesund zu werden. Außerdem hatte ich die heimliche Hoffnung, ein paar Bücher lesen zu können, die mir bei den Recherchen für mein Manuskript halfen.
    Nachdem ich die Kinder morgens in die Schule gebracht hatte, verzog ich mich also diesmal ins Bett. Was für ein Genuss! Mitten am Tag in den Federn ruhen und einfach gar nichts tun. Das hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Kaum hatte ich es mir gemütlich gemacht, war ich auch schon tief und fest eingeschlafen. Nach Stunden wachte ich wieder auf, mein Kopf brummte, mir war schwindlig zumute. Ob ich Fieber bekommen hatte? Ich stand kurz auf, kochte mir einen Tee und inhalierte. |155| Dann legte ich mich wieder hin und schlief weiter. Schrat übernahm zum Glück die Kinder.
    Am dritten Tag fühlte ich mich immer noch zu krank, um wieder aufzustehen. Gewöhnlich gibt es eine Talsohle, die man schnell erreicht, wenn man sich der Krankheit ergibt, und von da aus geht es bald wieder aufwärts. Bei mir schien es umgekehrt zu sein. Ich stagnierte und wurde immer deprimierter. Auch mein Selbstversuch ging mir inzwischen auf die Nerven. Das müssen die berühmten Mühen der Ebene sein, dachte ich, vor denen einen immer alle warnen. Ich wollte wieder schnell sein, viel schaffen, viel erreichen, alles erledigen. Was brachte mir diese Langsamkeit? Sie machte nur müde, raubte mir die Energie. Ich kam mir vor wie ein Mensch, der zwar einen starken Willen hat, aber die Konstitution einer Fruchtfliege. Es war nicht mehr auszuhalten.
    Warum um alles in der Welt fiel mir das Kranksein nur so schwer? Warum konnte ich die Abgeschiedenheit nicht genießen, in die ich durch meine körperliche Schwäche katapultiert worden war. Warum wollte ich nur gleich wieder weg und zurück in die Normalität? Diese Ungeduld, die mich in solchen Situationen befiel, diese Unruhe – das war der Kern meines Problems. Solange ich der Überzeugung war, jederzeit funktionieren zu müssen, würde ich immer wieder anfällig sein für die Geschwindigkeit unserer Gegenwart. So würde ich nie ganz zur Ruhe kommen, fürchtete ich. Hat man seine persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse derart eng mit den Erwartungen der Gesellschaft verwoben, in der man lebt, ist man ihnen bedingungslos ausgeliefert.
    Kein Wunder, dass wir so schwer gegen die zwanghaft zunehmende Eile ankommen. Sie durchdringt uns von |156| außen und von innen. Krankheit gilt als Zeitfresser, sie ist, in welcher Form auch immer, ein Alptraum. Wir fürchten uns davor und wollen derartige Zustände nicht zulassen. Ähnlich wie Kinder und alte Menschen werden auch Kranke in eine Ecke geschoben, in der sie möglichst nicht stören. Sie sind unkontrollierbar und nicht umfassend einsetzbar. Sie sind auch nicht unentwegt zugeschaltet und erreichbar. Ein Mensch, dem die Kommunikation mit seiner Umwelt gleichgültig ist, nimmt an ihr keinen Anteil mehr. Er wird sich keine Mühe mehr geben, zu kooperieren und ihr zu entsprechen. Er droht für sie eine Belastung zu werden.
    Was für ein Unterschied zu den Zeiten, in denen Krankheit ein unleugbarer Teil des Lebens war. Man muss sich nur die Genrebilder von Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel vor Augen halten, um sich daran zu erinnern, wie präsent Kranksein, Alter, Siechtum damals waren. Auch das Sterben wurde beständig thematisiert. Nichts galt im Mittelalter als so bedrohlich wie ein rascher Tod. Wer keine Möglichkeit gehabt hatte, sich von seinen nächsten Angehörigen zu verabschieden, wurde aufrichtig bedauert. Ein schneller Tod war ein schrecklicher Tod. Der Mensch sollte Gelegenheit haben, sich mit Gott zu versöhnen, bevor er starb. Dazu gehörten Rituale wie die Sterbesakramente, die Beichte und die Letzte Ölung. Nur wer sich in Demut und Frömmigkeit aus dem Leben verabschiedet hatte, konnte, so war die Überzeugung, im Jenseits Erlösung finden. Heute würde fast jeder spontan sagen, am besten wären ein schnelles Sterben und ein plötzlicher Tod. Glück habe, wer friedlich im Bett liegend für immer einschläft, wer ohne langes Leiden unverhofft und mitten aus dem Leben gerissen würde.
    |157| Viele wollen sich ihren körperlichen Schwächen nicht mehr stellen. Sie greifen zu Medikamenten und versuchen, die Krankheiten zu verdrängen. Auch bei alltäglichen körperlichen oder berufsbedingten Anstrengungen scheinen die Hemmungen, zu medikamentöser Unterstützung zu greifen,

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