Von jetzt auf gleich
er seinem Großvater gehört und dann seinem Vater. Jetzt gehörte das Familienerbstück mit dem generationsübergreifenden Gestank endlich ihm. Er kam auf mich zu, und ein schneller Blick zurück zeigte mir, dass die Fluchtwege versperrt waren.
»Hi. Ich bin Paul«, sagte er.
»Hallo.«
»Fangt an, euch zu bewegen, und sprecht mit euren Partnern«, sagte Debra. »Sagt, was auch immer euch in den Sinn kommt. Schwingen und übermitteln, tänzeln und verhandeln, gleiten und anvertrauen. Alle sind in Bewegung!«
Ich habe mich hierfür definitiv nicht angemeldet. Paul nahm das Ganze ernst, und ich war plötzlich seine Tanzpartnerin. Ich musste also mitmachen. Befangen bewegte ich mich ein wenig und nahm an, dass man es wohl Tanzen nennen konnte, wenn man den Ausdruck sehr, sehr frei benutzte. Ich tanze nicht gerne. Habe ich nie. Ich schätze, weil ich nicht besonders gut darin bin, aber ich glaube andererseits, dass Tanzen für den größten Teil der Beteiligten peinlich ist. Auch für die, die zusehen. Dann sagte Paul etwas zu mir, auf das ich nicht wirklich eine Antwort wusste.
»Ich bin achtzehn«, sagte er wehmütig. Dieser Mann war ganz sicher Mitte vierzig und sah auch so aus. »Warum sehe ich so alt aus?«
»Och, du siehst doch gar nicht
so
alt aus«, sagte ich, damit er sich besser fühlte.
»Ich sehe nicht wie achtzehn aus. Sie versuchen alle, mir einzureden, ich sei siebenundvierzig. Aber das bin ich nicht. Ich bin achtzehn!«
»Okay«, sagte ich. »Ich glaube dir. Du bist achtzehn.«
»Halt mich«, sagte er plötzlich. »Das Abschlussball-Komitee guckt gerade nicht.« Gott. Was konnte ich tun? Ich schlang die Arme um den armen Kerl und zählte die Minuten, bis es vorüber war.
Ich muss Folgendes klarstellen: Er täuschte mit Sicherheit nichts vor. Und ich bekam wegen meiner List schreckliche Schuldgefühle. In diesem Moment fiel mir etwas anderes ein, das ich nicht bedacht hatte: Sneevil Knievel war in meinem Appartement, und niemand kümmerte sich um ihn.
Samantha war von ihrem Trip offensichtlich zurück, aber sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, nach dem Vogel oder dem Schlüssel zu meinem Appartement zu fragen, um ihn abzuholen. Was für eine Vogel-Mutter war sie? Eindeutig hatte sie sich unsere eigene Mutter zum Vorbild genommen.
Todd würde kommen müssen, um meinen Schlüssel zu holen, damit er sich um Sneevil kümmern konnte, aber mein Telefonzugriff war begrenzt, und als ich endlich in meinem Zimmer ankam und einen Moment für mich hatte, tauchte Walter auf.
Es war lustig – am ersten Tag meines Aufenthalts hier waren alle interessiert, erreichbar, betroffen. Aber jetzt, nur ein paar Tage später, war ich bereits eine alte Nachricht. Ich muss sagen, er fühlte sich unbehaglich, aber er wollte wohl, dass jemand meine Familie repräsentierte.
»Wir haben eine Mappe über dich zusammengestellt. Der Arzt meinte, es könnte dir helfen, dich zu erinnern«, sagte er. Er überreichte sie mir vorsichtig, so als würde das Schicksal eines Undercover-Agenten damit besiegelt. Agent Jordan, die sich als irgendjemand ausgab, wie in der
Bourne-Identität
.
»Danke«, sagte ich und wusste natürlich, dass das mit dem andersrum Erinnern andersrum nicht so klappen würde, wie meine Leutchen sich das dachten.
»Wir kriegen das schon hin, Süße.« Die ganze Sache war wirklich seltsam. Dann küsste er mich auf die Stirn, und als er das tat, fühlte ich mich unglaublich klein. Wie ein kleines Mädchen, das Aufmerksamkeit von irgendjemandem wollte, brauchte und ersehnte, die sie aber nicht bekam. Oder nicht genug davon oder nicht die richtige Art. Ich wusste, dass das ein Abschiedskuss war, auch wenn er gerade erst aufgetaucht war. Es war ein Trostpreis – eine Eiswaffel anstatt mich für eine Stunde auf einer Schaukel anzuschubsen.
»Ich weiß«, sagte ich. Und ich wusste es. Aber es änderte nichts daran, dass mich plötzlich eine Welle der Trauer erfasste. Er sah mich noch einmal an, bevor er ging, und es fühlte sich an, als hätte er auf das geschaut, was sein könnte. Es war wirklich seltsam. Als hätte er vielleicht gedacht, dass ich niemals wieder zurückkommen würde. Ich hatte seinetwegen Schuldgefühle. Er versuchte mich zu lieben, so gut er konnte. Ich wusste das. Und für jemanden, der nicht mit mir verwandt war, versuchte er es sicherlich mehr als jeder, der es war.
Ich öffnete die Mappe, die sie über mich gemacht hatten. Es waren ein paar Fotos darin, aber sie enthielt überwiegend
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