Von jetzt auf gleich
mich?«
»Sorry«, sagte ich mit einem entschuldigenden Schulterzucken.
»Ich bin Cat«, sagte sie und lächelte beruhigend. »Wir sind die besten Freunde. Das sind wir, seit wir Kinder waren. Ich, du und Todd. Wir sind die drei Musketiere.«
»Ich habe Todd getroffen«, sagte ich. »Er war hier. Er ist nett.«
»Wie fühlst du dich? Tut dir was weh?«
»Ich bin okay, glaube ich. Ich habe Kopfschmerzen.« Ich beugte mich zu ihr und zeigte auf einen unbestimmten Teil meines Kopfes. »Es tut mir leid, dass ich mich nicht an dich erinnere«, fügte ich traurig hinzu.
»Ist schon okay«, sagte sie. »Das wirst du schon. Ich werde dir helfen, deine Erinnerung zurückzubekommen.«
Und dann setzte sie sich einfach auf den Stuhl neben meinem Bett. Wir hatten uns nicht wirklich viel zu sagen, weil wir ja Fremde füreinander waren, aber sie schien nicht gehen zu wollen. Also saßen wir für ein paar Minuten in unbehaglichem Schweigen da.
Dann passierte etwas Fürchterliches.
All My Children
kam im Fernsehen, und weil Cat spürte, dass es eine willkommene Flucht vor der befremdlichen Situation war, fing sie an, mich auszufragen.
»Schaust du dir das an?«
»Nicht wirklich«, sagte ich und schaute gleichgültig weg. »Es ist ein bisschen schwer für mich, zu folgen.«
»Gut, wenn du da irgendwas rausfindest …« Und sie fing eine epische verbale Reise durch ein Dutzend Staffeln von
All My Children
an. Jede neue, bedeutungslose Wendung im Plot forderte die Auffrischung von zehn anderen Folgen, um sie vollständig zu erklären. Die überraschende Enthüllung eines neuen Charakters brachte mich der Vollnarkose näher. Aber das Schlimmste war, ich kannte schon jede kleinste Kleinigkeit. Und mich langweilte es, dass ich jeden einzelnen Moment dieses Stumpfsinns wieder erleben musste. Ich befürchtete schon, sie würde auch noch den fesselnden Inhalt der Werbeunterbrechungen einflechten. Aber ich lächelte und dachte: Deshalb liebe ich diese Frau. Wenn ich doch nur ihr Stuhlbein erreichen könnte, um es abzureißen, damit sie aufhörte.
»Hallo!«, kreischte ich förmlich, als schließlich meine Mom auftauchte. »Das ist … Das ist …«
»Ich weiß, wer das ist, Jordan«, sagte meine Mom. »Cat, wie nett von dir, dass du gekommen bist.«
»Cat«, sagte ich und starrte meine redselige Freundin aufmerksam an, als sie sich verabschiedete und die Tränen zurückhielt. »Cat. Cat.« Ich zeigte auf sie und machte ihr klar, dass ich mir das merken wollte. Das war Cat.
»Danke, dass du mich besucht hast«, sagte ich. Ich kämpfte gegen das dringende Bedürfnis an, sie nach dem Baby zu fragen, das sie bekam, nach ihrem Ehemann und ihrer Wohnung …
Mir fiel die Legende von einem mittelalterlichen französischen Folterinstrument ein, dem Kerker. Gefangene wurden in ein enges Loch im Boden gesteckt, vergessen und zum Sterben zurückgelassen. Echte Amnesie musste ungefähr so sein, dachte ich. Nur umgekehrt. Die Höllenqual des Kampfes, sich zu erinnern … wo zum Teufel habe ich dieses Loch gegraben?
***
»Jordan hat in der Tat eine leichte Gehirnerschütterung«, sagte der Neurologe, während er zwischen den Seiten der Testergebnisse hin und her blätterte. Klasse! Eine Gehirnerschütterung war der perfekte Helfershelfer für meine Amnesie. »Den Erinnerungsverlust von Ereignissen, die vor dem Unfall passiert sind, nennt man retrograde Amnesie.«
Ich gab vor, nicht viel Interesse an dem zu haben, was um mich herum passierte, ließ die Augen im Raum herumwandern und zwirbelte an meinen Haaren. »Ist es das, was sie hat?«, fragte meine Mom.
»Wir glauben, ja. Jordans Gehirnerschütterung ist der wahrscheinlichste Grund für diese Art von Gedächtnisverlust. Möglicherweise wird sie einige Symptome der Gehirnerschütterung durchmachen wie Müdigkeit, Benommenheit, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten. Ein gewisses Maß an Gedächtnisbeeinträchtigung ist selbst nach einer leichten Gehirnerschütterung nicht ausgeschlossen.«
»Klar, dass das Jordan passiert«, meinte Samantha. »Ihr Leben war so lahm, wer hätte nicht Lust gehabt, es zu vergessen.« Und als sie das sagte, blickte sie mich mit verengten Augen an. Mein Herz begann zu rasen, aber statt auszuflippen, leckte ich meine Lippen und tat so, als hätte ich einen trockenen Mund, um mich von ihrer gemeinen Existenz abzulenken. Natürlich hatte sie vollkommen recht.
»Wie lange wird das denn anhalten?«, fragte meine Mom, und ich hätte schwören
Weitere Kostenlose Bücher