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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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die politische Zusammenarbeit mit der Mafia aushandelte und dafür dessen Wiederwahl garantierte – nachdem er diesem Bundeskanzler zuvor ein paar Millionen Euro für private Bauvorhaben zur Verfügung gestellt hatte, einer, der von dem Bundestagspräsidenten weiß, dass dieser vor einigen Jahren zusammen mit einigen Mafiabossen eine Maklergesellschaft gegründet hat, einer, der weiß, dass der ehemalige Justizminister Trauzeugeauf der Hochzeit eines Mafiosos war. Einer, der nur Luft holen muss, damit alle zusammenzucken. Aber ich fand keinen passenden Vergleich.
    Irgendwann standen Journalisten auf diesem Schulhof in Schwerte. Denn auch wenn es Bernardo Provenzano gelungen war, 43 Jahre lang seine Verfolger abzuschütteln, auch wenn man sein Gesicht nur von einem Phantombild kannte, an seiner Existenz hatte nie jemand gezweifelt. Am wenigsten die sizilianischen Journalisten, die Provenzanos Eigenarten so oft beschrieben hatten, seine Gottesfurcht und die Manie, nur mit Zettelchen zu kommunizieren, bis alle glaubten ihn zu kennen. Ganze Bücher waren über ihn verfasst worden, Polizeireporter hatten Ausstellungen mit seinen Phantomfotos organisiert und sogar eine interaktive Webseite mit den misslungenen Verhaftungen ins Netz gestellt. Genau wie die Polizisten registrierten sie jede Bewegung seiner Familienangehörigen – es war also nur eine Frage der Zeit, bis es nach Deutschland drang, dass Bernardo Provenzanos Sohn als Fremdsprachenassistent an einer Schule in Schwerte arbeitete. Und so kam es, dass eines Morgens die Reporter von Bild und RTL mit ihren Mikrophonen und Kameras auftauchten. Und dass von diesem Augenblick an die ganze Schule wusste, wer Paolo Provenzano war.
    Nach der Entdeckung sei Paolo ein paar Tage lang untergetaucht, sagte der Schuldirektor. Dies sei mit seiner Zustimmung geschehen, auch um die Situation zu entspannen. Denn die Journalisten hätten versucht, den Jungen in die Nähe der Mafia zu rücken. Und man habe nicht zulassen können, dass Paolo in Sippenhaft genommen werde. Nur weil sein Vater zufällig ...
    »Verstehe«, sagte ich. Und dachte daran, dass es für Paolo Provenzano nichts Ungewöhnliches gewesen sein wird,unterzutauchen. Hatte er doch schließlich seine ganze Kindheit so verbracht.
    Danach hätten der Direktor und die Italienischlehrer ein langes Gespräch geführt, in dem die Frage erörtert worden sei, ob man vor den Eltern und den Schülern verantworten könne, dass Paolo Provenzano weiter an dieser Schule unterrichten dürfe.
    »Wir haben das positiv beantwortet«, sagte der Schuldirektor.
    »Tatsächlich«, sagte ich.
    Paolo Provenzano habe lediglich gesagt, dass dies Teil seines Privatlebens sei. Als ihn die Schüler auf seinen Vater ansprachen, habe er geantwortet, dass er mit seiner Mutter aufgewachsen sei und den Vater nicht gesehen habe. Dass er dessen Taten zwar verurteile, aber nicht dafür verantwortlich sei.
    »Natürlich«, sagte ich.
    Und schließlich habe man auch nicht gewusst, ob Paolo Kontakte zu seinem Vater gehabt habe. Auf jeden Fall sei Paolo in Schwerte beschattet worden. Paolo habe sich auch darüber beschwert, dass seine Post geöffnet werde.
    Sicher wird Paolo Provenzano auch in Schwerte überwacht worden sein, wie sich herausstellen sollte, stand die Verhaftung seines Vaters kurz bevor. Nur wenige Monate nachdem sich die Schwerter Schulkollegen schützend vor Paolo Provenzano gestellt hatten, wurde Bernardo Provenzano in Corleone festgenommen, am 11. April 2006. Knapp zwei Kilometer Luftlinie von der Wohnung seiner Familie entfernt, in einer Hütte. Mit zehntausend Euro in der Unterhose, umgeben von Heiligenbildchen, Faxen mit Wahlpropaganda des damaligen sizilianischen Regionalpräsidenten und später wegen Mafiaverbindungen verurteilten Salvatore Cuffaro und einer Schublade voller Zettelchen:Botschaften für seine Ehefrau und seine Söhne, für Mafiosi, Politiker und Unternehmer, geschrieben auf einer mechanischen Olivetti Lettera 32 . Und fünf Bibeln mit Lesezeichen und Unterstreichungen.
    Die Festnahme war Provenzanos letzter Sieg. Die Spuren waren noch nicht gesichert worden, da stand schon eine RAI-Moderatorin in Provenzanos Versteck. Bald glaubte die ganze Welt, dass der Boss der Bosse, der Gottvater, der Leibhaftige, dass die Mafia nichts anderes war als ein unsicher lächelnder alter Mann, der neben seinem Bett ein zweites Gebiss aufbewahrte, ein Greis, der in einem sizilianischen Dialekt voller Rechtschreibfehler kommunizierte und

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