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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Polizisten, die ihr rechts und links unter die Arme griffen, ignorierte sie – als sei dies keine Verhaftung, sondern der dritte Akt eines Passionsspiels, als sei sie eine von den drei Marien vor dem Besuch des Heiligen Grabes .
    Als Teresa Strangio zusammen mit ihrer Schwester Ange la im Februar 20 10 festgenommen wurde, war sie in erster Instanz bereits wegen Rauschgifthandels zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Eine Strafe, die sich im Wesentlichenauf die Misslichkeit reduzierte, San Luca nicht verlassen zu dürfen. Außerdem hatten die Gerichte einige ihrer Besitztümer beschlagnahmt. Weil es nach diesem Urteil nicht mehr so gut um Teresa Strangios Leumund bestellt war, habe sie, laut Schlussfolgerung der Staatsanwälte von Reggio Calabria beschlossen, ihren damals noch nicht vorbestraften Bruder Giovanni als Besitzer ihrer beiden Pizzerien in Kaarst eintragen zu lassen.
    So rekonstruierte es die italienische Staatsanwaltschaft in ihrem jüngsten Haftbefehl, aus dem auch hervorgeht, dass sich Teresa Strangio in den Geschäften des Clans in Nordrhein-Westfalen bestens auskennt. In einem von den italienischen Fahndern transkribierten Chat bedauert sie, dass Tonis Pizza und das San Michele, die beiden Lokale in Kaarst, nun an andere Besitzer vermietet worden seien. Die sie, genau wie ihre Schwester Angela, ihre Gesprächspartnerin im Chat, verfluchte: Bastarde seien das, wütet sie, Bastarde, die sich jetzt in ihren Lokalen breitmachten. Juristisch habe man nichts gegen sie ausrichten können. Dritter Gesprächspartner im Chat ist Pietro Prattico, ein weiteres mutmaßliches Clanmitglied, der mit den Schwestern verhaftet wurde. Er plädierte dafür, das Problem mit den neuen Besitzern der Pizzerien in Kaarst nach der bewährten Art der ’Ndrangheta zu lösen: in der Nacht etwas TNT und fertig.
    Aurelia, Angela und Teresa Strangio sind moderne Mafiafrauen. Keine schwarz gekleidete Frauen mit schlechten Zähnen wie die Alten im Dorf, die erfolgreich das Dramolett von den duldsamen Frauen aufführen, die sich ihren gewaltbereiten Männern unterwerfen, ein Märchen, an das selbst Richter und Staatsanwälte, Polizisten und Journalisten lange glaubten, manche noch bis heute. Auch wenn die Frauen mit ihren untergetauchten Männern jahrelang aufder Flucht leben, gelten sie nicht als Komplizen, sondern als Familienangehörige, die nichts anderes anstreben, als die Familie unter widrigen Umständen zusammenzuhalten. Und die sich deshalb kein Vergehen zuschulden kommen lassen. Die Justiz selbst stellt die Familie über das Gesetz.
    Jahrzehntelang waren die Mafiafrauen auf diese Weise der Aufmerksamkeit der Ermittler entgangen, eingesponnen in ihren verlogenen Kokon aus Blutsbanden, Muttertum: »Ich weiß nichts von der Mafia. Ich weiß nichts von der ’Ndrangheta. Ich weiß nur etwas von meinen acht Kindern, sieben Söhne und eine Tochter«, sagte die Mutter von Sebastiano Nirta, einem der vier mutmaßlichen Mafiakiller von Duisburg.
    Als die verdächtigen Mörder von Duisburg noch auf der Flucht waren, gingen die Mütter von Giovanni Strangio und Sebastiano Nirta auf die Straße, um für die Unschuld ihrer Söhne zu demonstrieren – bezeichnenderweise auf einer Antimafiademonstration in San Luca, zu der Pietro Grasso aufgerufen hatte, der Chef der nationalen Antimafiaermittlungsbehörde. Die Mütter schwenkten Transparente mit kämpferischen Parolen: »Hier sind wir, die Nirta-Strangio. Die letzten Überlebenden des Tornados der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria. Wie lange braucht Ihr noch, um uns auch wegzufegen?« Oder: »Wo ist die wahre Gerechtigkeit? Wo ist die Wahrheit? Wir wollen eine Antwort! Findet die wahren Mörder!«
    Die Mutter von Giovanni Strangio trug ein T-Shirt mit dem Fahndungsfoto ihres Sohnes. Darunter stand »UNSCHULDIG«. Die Mutter sah in diesem bedruckten weißen T-Shirt wie verkleidet aus. Man sah ihr an, dass sie in ihrem Leben immer nur ordentlich gebügelte Blusen getragen hatte, nie T-Shirts. »Wir sind anständige Leute«, sagtedie Mutter, »wir möchten nichts anderes, als in Ruhe unseren Angelegenheiten nachzugehen.« Und die Mutter von Sebastiano Nirta sekundierte ihr: »Bei uns gibt es keine Blutrache. Wir sind Opfer. Wir wissen von nichts.«
    In der Hierarchie der ’Ndrangheta sind die Frauen heute faktisch gleichberechtigt – speziell in der Planung eines Rachefeldzugs: Blut ruft nach Blut , heißt es in Kalabrien. Ich erinnere mich noch an die Geste, die der Staatsanwalt

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