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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Nicola Gratteri machte, als er über die Frauen der ’Ndrangheta sprach. Er zog eine imaginäre Uhr auf: Die Frauen seien es, welche die Rachefeldzüge der Clans vorbereiteten, sie programmierten ihre Männer wie einen Zeitzünder.
    Die Ermittlungen um die Morde von Duisburg bestätigten ein weiteres Mal, dass die Frauen des Clans sich keineswegs auf die Rolle der ahnungslosen Ehefrau beschränkten, so wie man es aus dem jahrzehntelang sorgsam gepflegten Bild von der Mafiafrau kennt – deren einzige Schuld die Liebe sei, die sie für ihren Mann und ihre Kinder empfinde. Die Frauen der Clans, so betonen die Fahnder, seien keineswegs passive Opfer des blutigen Clankrieges, sondern Protagonistinnen. Sie transportieren Waffen für ihre untergetauchten oder verhafteten Männer, sie planen Verbrechen, überbringen Botschaften und bedienen sich der Medien. Die Frauen sind die andere Hälfte der Mafia – der sie wiederum ihren Wohlstand, ihr Ansehen und ihre Macht verdanken. Die sie unter allen Umständen erhalten wollen.
    Aurelia, Angela und Teresa Strangio schienen sich in Düsseldorf und Amsterdam genauso gut auszukennen wie im Nachbardorf Bovalino. Sie verwalten die Waffenlager des Clans so selbstverständlich, als handele es sich um eine Friseurkette. Die mafiosen Schwestern wissen, welchesMagazin zum M16-Sturmgewehr gehört und dass man ein Skorpion-Maschinengewehr ohne Werkzeug auseinandernehmen kann.
    Droht eine Hausdurchsuchung, lassen sie die Waffen einmauern. Als sich der Komplize Pietro Prattico’ im Chat an Angela Strangio wendet und sie bittet, ihm ein paar Waffen zu leihen, muss sie ihm seine Bitte abschlagen. Wie eine freundliche Lageristin, die dem Kunden mitteilt, dass die Ware im Augenblick leider nicht verfügbar sei, erklärt sie, dass die Verstecke bereits verputzt und gekachelt seien. Nur ein paar Tage zuvor wäre alles kein Problem gewesen, aber jetzt könne er nur noch mit einem Hammer an die Waffen gelangen.
    Im Chat besprechen die Schwestern auch, ob der berühmte Mafiaverteidiger und ehemalige Forza-Italia-Abgeordnete Carlo Taormina der Richtige wäre, um den Prozess zum erhofften Medienspektakel zu machen, und ob die deutsche Augenzeugin am Tatort eine Gefahr für ihren Bruder Giovanni Strangio sein könnte. Wohl kaum, stellen sie fest, schließlich habe sie ihn nicht erkannt. Die Schwestern fühlen sich unbesiegbar. Das Recht ist lediglich eine Frage des Anwaltstarifs.
    Aurelia, Angela und Teresa Strangio sind in einer Welt aus Betrug und Fälschung, Mord und Erpressung groß geworden. Ihr Vater, ihre Brüder, Ehemänner, Cousins und Schwager handeln mit Waffen und Kokain – sie stehen über Skype mit südamerikanischen Drogenbossen in Kolumbien, Venezuela, Paraguay und Uruguay in Verbindung und mit Waffenhändlern in Bosnien oder Bulgarien. Aber sie sind auch spezialisiert darauf, öffentliche Auf träge zu ihren Gunsten zu manipulieren, nicht nur in Kalabrien, sondern auch in Duisburg oder Leipzig. Sie kaufen Gesellschaftsbeteiligungen und Firmen auf und unterbieten mitDumpingpreisen die Konkurrenz. Sie kaufen Privatkliniken, die Clans der ’Ndrangheta kontrollieren fast das gesamte Gesundheitssystem in Kalabrien.
    Es sind Männer, denen es gelingt, jahrzehntelang unterzutauchen – nicht zuletzt dank der tatkräftigen Unterstützung ihrer Frauen. Über Generationen haben in den Clans von San Luca Cousins Cousinen geheiratet, Schwager Schwägerinnen. Von Generation zu Generation hat sich ihr Blut gemischt, um die Macht des Clans zu stärken. Es gibt nur einen Grund, einen Blutsverwandten fallenzulassen: Wenn er sich für die Zukunft des Clans als hinderlich erweist. So wie Sebastiano Nirta, der so dumm war, am Tatort seine Zigarettenkippen zu hinterlassen.
    Solche Anfängerfehler wären den Strangio-Schwestern nicht unterlaufen. Als sie am 13. November 2008 im kalabrischen Rosarno den Nachtzug 894 nach Rom bestiegen, waren sie siegesgewiss. Am Ende der Reise sollte die Familienzusammenführung stehen. Blut ruft nach Blut. Die beiden kleinen Kinder von Aurelia Strangio sollten endlich wieder ihren Vater Giuseppe Nirta in die Arme schließen können, der sie in dem dreitausend Kilometer entfernten Amsterdam sehnlichst erwartete. Zusammen mit den Waffen und dem Geld, das in ihren Rucksäcken steckte. Was hätten die Richter ihnen schon vorwerfen können? Die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern, die dafür sorgte, dass ihre Kinder ihren von der Justiz verfolgten Vater endlich wiedersehen

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