Von Kamen nach Corleone
Erfurt geschickt, die innerhalb kürzester Zeit Immobilien kauften und mehrere Pizzerien eröffneten, mit »gehobenem Standard«, wie der BKA-Bericht vermerkt. Anfangs in Erfurt, später dann auch in Leipzig, Dresden, Weimar, Eisenach. Im Jahr 2002ermittelte die Polizei wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und wegen des Verdachts auf Geldwäsche, »Operation FIDO« genannt. Ermittler scheinen ihre schöpferische Kraft in der Namensgebung für Polizeiaktionen auszuleben, die »Cometa« heißen und manchmal auch »Trina« oder einfach nur: »Herbert«.
Die Investitionen der Mafia in Erfurt, so schreibt der BKA-Bericht weiter, würden über ein komplexes System getätigt: »Vertrauenspersonen werden mit der Durchführung der Kaufverhandlungen beauftragt. Zur Übernahme von Objekten werden teilweise Gesellschaften gegründet und Beteiligungen festgelegt. Bei den Konzessionären handelt es sich in der Regel um reine ›Strohmänner‹, die in der Hierarchie der Organisation auf einer der unteren Ebenen stehen und fast ausschließlich verwandt mit den Hauptorganisatoren sind. Diese halten sich bewusst im Hintergrund. Die Herkunft der Investitionsgelder ist unklar und steht im deutlichen Widerspruch zur finanziellen Potenz der Personen, die öffentlich als Inhaber der Gastronomiebetriebe auftreten.«
Am meisten haben mich die Namen der deutschen Helfershelfer beeindruckt, die in dem BKA-Bericht aufgeführt wurden, deutsche Ehefrauen, Bankdirektoren, Rechtsanwälte, die zusammen mit Mafiosi eine GbR gründen, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts: Genau wie eine Tippgemeinschaft kann auch der Zusammenschluss eines deutschen Strohmanns und eines italienischen Mafiosos durchaus die Kriterien einer GbR erfüllen. Und die auch deshalb für die Clans interessant ist, weil bei einer GbR erst ab einem Jahresumsatz von einer halben Million Euro und einem Gewinn von fünfzigtausend Euro eine Buchführungspflicht besteht. Der Gewinn und der Umsatz der Mafiarestaurants liegt natürlich stets darunter.
Es war ein Frühlingstag. Ich durchquerte ein Luther-Land voller bläulich schimmernder Wiesen, auf denen Schaumkraut wuchs, voller unbegradigter Flüsse, Rapsfelder und spitzer Kirchtürme, die sich wie Scherenschnitte vom Himmel abhoben. Als ich in Erfurt ankam, hatten die ersten Sonnenstrahlen viele Erfurter aus den Plattenbauten in die Innenstadt jenseits vom Juri-Gagarin-Ring und der Clara-Zetkin-Straße gelockt; die Stadt sieht aus, als hätte sie vakuumverschweißt das letzte Jahrhundert überstanden, unberührt von den Widrigkeiten der Weltkriege, fern von der Unbill der Deutschen Demokratischen Republik. Häuser, Straßenzüge, Plätze, Fassaden und Portale – alles strahlte frisch und gleichzeitig so originalgetreu antik, als hätte man soeben erst die Folie von der Stadt abgezogen, als sei sie einer Broschüre des Fremdenverkehrsamts entsprungen, eine Stadt mit italienischem Flair , wie es in der Sprache der PR-Berater heißt.
Keiner der Plätze, kein Straßenzug kam ohne ein italienisches Restaurant aus, eine Eisdiele, eine Stehpizzeria. Gegenüber von der Staatskanzlei aß man auf einer großen, sonnenbeschienenen Terrasse zu Mittag, am Anger, in der Neuwerkstraße, an der Langen Brücke. Da, wo Erfurt am schönsten ist, warteten Kellner mit langen, weißen Schürzen auf Kundschaft, freundliche und manchmal auch etwas mürrisch wirkende Kellner. Die Orecchiette alla norma kosteten acht Euro, als Nachtisch gab es den Eisbecher Gondola veneziana, und wer auf dem Teller etwas übrig ließ, wurde auch hier von den Kellnern gefragt, ob sie den Rest einpacken sollten. Genau wie in Duisburg.
Elf Restaurants des Clans Pelle-Romeo zählt der BKA-Bericht in Erfurt auf, hinzu kommen Immobilienanlagen, Eisdielen, Import-Export-Gesellschaften. Ein abtrünniger ’Ndranghetista hatte ausgesagt, dass der Clan Pelle-Romeoab dem Jahr 1998 Drogengelder in Ostdeutschland investierte.
Ich lief durch die Innenstadt, bewunderte perfekt restaurierte Renaissancefassaden und altehrwürdige Brunnen und musste immer wieder an die Sätze von Manfred Ruge denken, dem ehemaligen Erfurter Bürgermeister, der in einer Fernsehdokumentation über die Mafia in Deutschland mit entwaffnender Offenheit festgestellt hatte: »Bedeutet das ›mafiose Strukturen‹, wenn schmutziges Geld, das woanders schmutzig verdient worden ist und dann letzten Endes hier an den Mann gebracht wird? Ist denn nicht die Ursache des Ganzen die, ich sag
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