Von Kamen nach Corleone
mal: die Struktur, die es ermöglicht, dass diese Schutzgelder, diese Gelder aus dem Drogenmilieu und wo auch immer, dass die überhaupt erst mal verdient werden können? Dort ist doch eigentlich der Ansatz! Und dort passiert doch eigentlich auch das, was anschließend dann als Auswirkung woanders passiert, die Auswirkung des Geldausgebens oder die Auswirkung der Auseinandersetzung miteinander. Die passieren doch dann vielleicht überall. Aber irgendwo wird doch dieses Geld verdient!«
Später schien er seine Worte bereut zu haben, jedenfalls hatte sich mir bei meiner Lesung dieser Eindruck aufgedrängt, als Manfred Ruge das Wort ergriffen und mich als geistige Urheberin jener ZDF-Dokumentation beschimpfte.
Ich bewundere Ihren Mut . Auch deshalb hatte ich mir eine Perücke gekauft, bevor ich nach Erfurt fuhr. Und mich anders als sonst angezogen. Die Haare rochen etwas streng nach Kunststoff, auch wenn sie sehr echt wirkten. Ich sah aus wie eine Moldawierin, die beim Haarefärben vergessen hatte, auf die Uhr zu schauen. Wenn ich mich abends im Hotelzimmer abschminkte und die Perücke aufden Waschtisch legte, fühlte ich mich wie eine Bankräuberin. Oder wie eine Terroristin auf der Flucht. Obwohl ich in Erfurt nichts anderes tat, als Italienisch essen zu gehen.
Aber nach der Botschaft, die mir auf der Lesung übermittelt wurde, war mir klar, dass man meine Anwesenheit in Erfurt nicht unbedingt begrüßen würde. Zumal ich in der Zwischenzeit Anrufe von Unbekannten bekommen hatte, die vorgaben, mich belehren zu wollen, kryptische E-Mails und weitere unverhüllte Drohungen aus San Luca.
Spartaco Pitanti, der Erfurter Gastronom, und Antonio Pelle, der Duisburger Hotelier, hatten inzwischen erreicht, dass einige der sie betreffenden Passagen in meinem Buch geschwärzt werden mussten. Bei der letzten Verhandlung am Münchener Oberlandesgericht hatte die Richterin zwar für die Verhandlung Polizeischutz angeordnet, aber dennoch die Schwärzungen bestätigt.
Der Gastronom Spartaco Pitanti hatte bei der letzten Verhandlung im Münchener Oberlandesgericht eindrucksvoll deutlich gemacht, was er von dem Polizeischutz hielt. Beim Verlassen des Gerichtsgebäudes nahm er den Anwalt meines Verlages beiseite und sagte: »Und richten Sie ihr aus, dass sie das nächste Mal mit sechs Polizisten kommen soll.«
Bevor ich Erfurt verließ, aß ich noch zu Mittag, italienisch natürlich. Ich bestellte Risotto mit Krabben und Spargel. Und bereute meine Wahl sofort. Man hätte mit dem Risotto auch eine Wand verputzen können, so sehr klebte er zusammen. Risotto ist allerdings auch keine kalabrische Spezialität.
Während ich in dem Risotto herumstocherte, dachte ich darüber nach, wie wichtig Restaurants und Hotels für die Clans sind, nicht nur wegen der Möglichkeit der Geldwäsche und der Tatsache, dass sie dort ungestört ihre Geschäfteplanen können, da das Abhören in öffentlichen Lokalen in Deutschland verboten ist. Sondern vor allem deshalb, weil hier die nötigen Bekanntschaften geschlossen werden können, völlig zwanglos.
Die Technik, wie die Clans in der deutschen Gesellschaft Fuß fassen, gleicht sich in fast jeder Stadt, egal ob Dortmund, Erfurt, Duisburg, Stuttgart oder München: Wichtig ist, gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen, mit Lokalpolitikern, mit Baudezernenten, Bankdirektoren. Mit Fußballspielern, Schauspielern, Polizeipräsidenten. Das geht natürlich am unauffälligsten in einem Restaurant. Ist der Clan erst gesellschaftlich etabliert, geht er dazu über, als Gönner aufzutreten, Fußballvereine und Golfclubs zu unterstützen, Parteifeste zu finanzieren, deutsch-italienische Gesellschaften zu unterwandern. »Eventagenturen« zu gründen, die sich für das Catering einer einzigen italienischen Import-Export-Firma bedienen, die auch alle anderen italienischen Restaurants im Umkreis beliefert. Und die ihnen den zehnfachen Preis des üblichen Gastronomiegroßhandels berechnet: Die Schutzgelderpressung der italienischen Restaurants wird heute über die Zulieferbetriebe der Restaurants abgewickelt. Über die Gastronomiegroßhändler, Lebensmittelhändler, Weinhändler, Einrichter. So kontrollieren die Bosse auf einfache, unauffällige und effiziente Weise das Territorium. Italienische Restaurants, die in Flammen aufgehen, weil sie kein Schutzgeld bezahlen, gibt es schon lange nicht mehr in Deutschland. Zu viel Aufsehen.
In Italien gaben Antimafiafahnder im Sommer 2010 bekannt, dass heute mindestens 5000
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